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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0123
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104 Der Fall Wagner

Die Kritik an Wagners Kunstreligion schließt religionsaffine Erscheinungen
in N.s Spätwerk freilich nicht aus (vgl. auch Detering 2009, 6).

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Manche Überlegungen dieses Abschnitts sind vorweggenommen in NL 1887/
88, KSA 13, 11[321], 134 f. (KGW IX 7, W II 3, 62, 1-4, 10-15-63, 6-20), wo
im Übrigen auch der Autor einer wichtigen Inspirationsquelle, nämlich Paul
Bourget, namentlich genannt wird (KSA 13, 134, 16), dessen (Nouveaux) essais
de psychologie contemporaine (1883/86) für N.s späte Kulturdiagnose und Deka-
denzverdikte richtungweisend waren (siehe z. B. Panizzo 2007, 57-64).
26, 28 f. der Musiker wird jetzt zum Schauspieler] In der Abhandlung Über
Schauspieler und Sänger (1872) propagiert Wagner in der Gestalt des Mimen
eine Einheit von Schauspieler und Sänger: „Zu wiederholten Malen gerieth ich,
in Folge meiner Untersuchungen des Problem's der dramatischen Kunst und
ihrer Beziehungen zu einer wirklich nationalen Kultur, auf den entscheidend
wichtigen Punkt der Eigenartigkeit der Natur des Mimen, unter welchem ich
den Schauspieler und Sänger begriff, denen ich, vermöge des besonde-
ren Lichtes, in welchem diese mir erschienen, sogar den eigentlichen Musi-
ker beizugesellen mich veranlaßt sah." (Wagner 1871-1873, 9, 191 = Wagner
1907, 9, 157) Die prominente Rolle, die Wagner der Schauspielerei einräumt,
reflektiert N. auch schon in UB IV WB 7, KSA 1, 467, 3-468, 15 und UB IV WB
9, KSA 1, 490, 6-32, dort jedoch ohne den Gestus der Verunglimpfung. Die
Musik der Schauspielerei geopfert zu haben, ist ein zentraler Vorwurf N.s an
Wagners Adresse, der allerdings — und typischerweise! — Wagners eigene kriti-
sche Begriffe gegen diesen selbst wendet. (Wagner selbst bezichtigte N. in
einem Gespräch mit Cosima am 02. 08. 1878 einer solchen Taktik in seinen
Angriffen: „Alles hat dieser schlechte Mensch von einem, selbst die Waffen,
die er nun gegen mich führt." C. Wagner 1988, 3, 153, vgl. Borchmeyer 1982,
11.) Schließlich war es Wagner selbst, der im fraglichen Aufsatz Über Schau-
spieler und Sänger ein wachsendes Übergewicht der schauspielerischen Effekt-
hascherei gegenüber dem poetischen Gehalt verantwortlich machte für den
neuzeitlichen Verfall des Dramas: Es bezeichne „den Verfall des Drama's, vom
Eintritte der sogenannten neueren Attischen Komödie an bis auf unsere Tage,
daß ein platterer Stoff in flacher Ausführung dem individuellen Belieben des
Mimen, des eigentlichen ,Histrionen' der Römer, vom Dichter überlassen ward"
(Wagner 1871-1873, 9, 255 = Wagner 1907, 9, 213). Vgl. auch NK KSA 6, 419, 23-
25.
 
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