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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0397
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378 Götzen-Dämmerung

sich die intellektuelle Korruption der Deutschen durch Alkohol konkret festma-
chen lasse, wesentlich vereinfacht und damit als direkter Handlungsappell
besser rezipierbar. Die Verbindung von ungehemmtem Alkoholkonsum und
Intelligenzeinbuße (bis hin zum Koma) fand N. bei Richet 1884, 100-102 darge-
stellt, der freilich die inspirierende Wirkung von Alkohol in geringen Mengen
nicht unterschlägt: „De tout ce qui precede, nous pouvons conclure que
l'alcool ä faible dose surexcite certaines facultes intellectuelles, l'imagination,
la memoire, l'association des idees, mais qu'il en paralyse d'autres, speciale-
ment la volonte, la reflexion, et le jugement. Cependant, ä une dose plus forte,
toute trace d'intelligence a disparu." (Richet 1884, 100. „Nach allem Vorange-
gangenen können wir schlussfolgern, dass Alkohol in kleinen Mengen gewisse
intellektuelle Fähigkeiten überreizt, die Vorstellungskraft, das Gedächtnis, die
Assoziation der Ideen, aber andere Fähigkeiten, besonders den Willen, die
Reflexion und das Urteilsvermögen lähmt. Allerdings verschwindet jegliche
Spur von Intelligenz beim Konsum einer größeren Menge Alkohol.") Gerade der
regelmäßige Alkoholkonsum, wie N. ihn bei der deutschen „gelehrten Jugend"
konstatiert, führt nach Richet zu mentaler Beeinträchtigung, Traurigkeit („tris-
tesse") und Angst („crainte") (Richet 1884, 102). Begründet wird bei Richet der
Umstand, dass Menschen im Unterschied zu anderen Tieren der Trunksucht
frönen, obwohl sie ihnen schadet, damit, dass der Mensch unglücklich sei und
vergessen müsse (Richet 1884, 104). Die Schwächung des Willens ist nach
Richet ein wesentliches Symptom des Alkoholkonsums. Vor dem Hintergrund
dieser Lektüre N.s erscheint die Korruption „der Deutschen" wesentlich als
Willensschwäche.
104, 29-105, 1 Ich habe einmal in einem beinahe berühmt gewordnen Fall den
Finger auf eine solche Entartung gelegt — die Entartung unsres ersten deutschen
Freigeistes, des klugen David Strauss, zum Verfasser eines Bierbank-Evangeli-
ums und „neuen Glaubens"...] Vgl. UB I DS gegen David Friedrich Strauß' Der
alte und der neue Glaube (Strauß 1872). Da Strauß seiner Leidenschaft für Bier
sogar elegischen Ausdruck gab — vgl. NK 105, 1-3 —, konnte N. dessen Spät-
werk als „Bierbank-Evangelium" gut charakterisiert finden — als frohe Bot-
schaft für Wirtshäuser und Saufgesellen. Diese Assoziation fehlt noch in UB I
DS; der Ausdruck „Bierbank-Evangelium" ist vor GD nicht belegt. Vgl. EH Die
Unzeitgemässen 2, KSA 6, 317, 14 f., zum „Freigeist" Strauß NK KSA 6, 319, 6-
17.
105, 1-3 Nicht umsonst hatte er der „holden Braunen" sein Gelöbniss in Versen
gemacht — Treue bis zum Tod...] Wortwörtlich kommt die „holde Braune" in
Strauß' Gedichten nicht vor; N. scheint aus dem Kopf zu zitieren und Strauß'
„Braune" dabei mit zwei anderen damals bekannten Gedichten zu kontaminie-
 
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