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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,1): Kommentar zu Nietzsches "Der Fall Wagner", "Götzen-Dämmerung" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2012

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https://doi.org/10.11588/diglit.70913#0487
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468 Götzen-Dämmerung

der den Philosophen gerne als Spinne karikiert. In Christoph Martin Wielands
Aristipp kommt der Ausdruck auch bereits in einschlägigem Zusammenhang vor:
„Der junge Plato will, wie ich höre, alle diese Gespräche [sc. des Sokrates] — ver-
muthlich in seiner eignen Manier, wovon er bereits Proben gegeben hat, mit wel-
chen Sokrates nicht sonderlich zufrieden seyn soll — aufschreiben und bekannt
machen. Ich wünsche daß er so wenig von dem seinigen hinzuthun möge, als
einem jungen Manne von seinem seltnen Genie nur immer zuzumuthen ist; aber
er hat eine zu warme Einbildungskraft und zu viel Neigung zur dialektischen
Spinneweberei, um den schlichten Sokrates unverschönert, und, wenn ich so
sagen darf, in seiner ganzen Silenenhaftigkeit, darzustellen, die wir alle an ihm
gekannt haben, und die mit seiner Weisheit so sonderbar zusammengewachsen
war." (Wieland 1839, 22, 281).
126, 20 f. amor intellectualis dei nach Art des Spinoza] Der Begriff „amor intel-
lectualis dei", „geistige Gottesliebe" stammt aus Baruch de Spinoza: Ethica
ordine geometrico demonstrata V, prop. 32, corollarium. Im dritten Band von
Heinrich von Steins Sieben Büchern zur Geschichte des Platonismus, deren erste
beiden Bände N. sich einst in der Universitätsbibliothek Basel ausgeliehen hatte
(Crescenzi 1994, 412 u. 416), werden Spinozas „amor intellectualis dei" und Pla-
tons Konzepte verglichen und tiefgreifende Differenzen festgestellt (Stein 1875, 3,
245). N. hatte den Begriff schon in FW 372 attackiert: „was von Spinoza übrig
b1ieb, amor intellectualis dei, ist ein Geklapper, nichts mehr! was ist amor, was
deus, wenn ihnen jeder Tropfen Blut fehlt?..." (KSA 3, 624, 18-21).
Das Notat NL 1884, KSA 11, 26[416], 262, 21 f., das sich gegen Gustav Teich-
müllers „Hohn darüber" verwahrt, „daß es schon da war!", d. h. Spinozas
„amor dei" nichts Neues gewesen sei, macht auf einen anderen Diskussionszu-
sammenhang aufmerksam, den N. hier rezipiert hat: Im dritten Band seiner
Neuen Studien zur Geschichte der Begriffe hatte Teichmüller Spinozas „amor
intellectualis dei" für einen bloßen, unbedeutenden Abklatsch antiker Vorbil-
der gehalten (Teichmüller 1879, 124. Ebd., 399 lässt Teichmüller Spinozas Sub-
stanzphilosophie insgesamt als dürftige Neuauflage Platons erscheinen). Zu
N.s vielfältigen Teichmüller-Lektüren vgl. auch Brobjer 2008b, 137 u. ö. Über
Spinoza hat sich N. 1881 eingehend aus dem einschlägigen Band von Kuno
Fischers Geschichte der neuern Philosophie belehrt (vgl. z. B. KSA 14, 646; Seg-
gern 2005, 127-147 u. Brusotti 1997, 351-353; zur Liebe Gottes bei Spinoza aus-
führlich Fischer 1865, 2, 519-533) und dann 1887 dieses Werk in Chur erneut
exzerpiert (NL 1887, KSA 12, 7[4], 260-263).
N.s eigener Begriff des „amor fati" kann seine Nähe zu Spinozas „amor
intellectualis dei" nicht verhehlen, vgl. NK KSA 6, 297, 24 f. Bei N. entfällt der
Rückgriff auf Gott, aber auch sein amor gebietet, sich mit der Welt in ihrem
So-Sein nicht nur zu arrangieren, sondern sie emphatisch gutzuheißen.
 
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