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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0034
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Überblickskommentar 11

Mensch bloß das krankhafteste Tier, allerdings auch das interessanteste. Die
Vorstellung eines vom Körper unabhängigen Geistes wird der Lächerlichkeit
preisgegeben.
Abschnitt 15 leitet zu einer genaueren Analyse des Christentums über,
indem es ihm zunächst vollkommene Wirklichkeitsfremdheit im Dienste der
Weltverneinung bescheinigt. Darauf folgt in den Abschnitten 16 bis 19 eine
„Kritik des christlichen Gottesbegriffs" (182, 10 f.). Die Herabwürdi-
gung Gottes von einem die Fülle des Lebens „im Guten wie im Schlimmen"
(182, 20 f.) verkörpernden Volksgott zu einem Gott bloß des Guten wird anhand
der jüdisch-christlichen Geschichte umrissen. Gott erscheint dann im Christen-
tum als gegen das Leben gerichtete Macht. Es müsse bedenklich stimmen, dass
es den „starken Rassen" (185, 14) Nordeuropas nicht gelungen sei, diesem Gott
etwas Stärkeres entgegenzusetzen. Die Abschnitte 20 bis 23 vergleichen zwei
„decadence-Religionen" (186, 6), das Christentum und den Buddhismus. Dabei
schneidet der Buddhismus durchwegs besser ab, sei er doch nur am Kampf
gegen das Leiden interessiert, anstatt sich mit imaginären Dingen wie Sünde
abzugeben. Er unterlasse jeden Zwang ebenso wie Gebet und Askese; Ressenti-
ment sei dem Buddhismus als Produkt höherer Stände ebenso fremd wie der
Kampf gegen Andersdenkende. Das Christentum hingegen wolle Barbaren zäh-
men, indem es sie krank mache.
Mit Abschnitt 24 beginnt die Erörterung der Entstehungs-, Verlaufs-, und
Wirkungsgeschichte des Christentums, die sich mit gelegentlichen Unterbre-
chungen bis Abschnitt 61 erstreckt. Zunächst wird die Entstehung des Christen-
tums als logische Konsequenz des Judentums erörtert, dessen Geschichte als
die einer fortlaufenden „Entnatürlichung der Natur-Werthe" (193, 11),
damit als Etablierung einer „ressentiment-Moral" (192, 17) gegen eine
ursprünglich vorherrschende „vornehme[.] Moral" (192, 16) rekapituliert
wird. Das Christentum erscheint als anarchistische Fortsetzung des Judentums,
wobei der „psychologische Typus des Erlösers" aus dem Dekadenzschema
ganz herausfällt (Abschnitte 28 bis 35): AC stellt Jesus als zum Heroismus unfä-
higen „Idiot[en]" (200, 15) hin, der aus übergroßer Leidensfähigkeit alle Dis-
tanz aufgibt, sowie als „grossen Symbolisten" (206, 13), der ganz in der Liebe
aufgeht. Damit wird dem Christentum konsequent die Grundlage seiner Selbst-
legitimation entzogen.
Jesu Beispiel sei von den frühen Christen völlig missverstanden worden;
insbesondere Paulus soll als „Genie im Hass" (215, 31 f.) gebrandmarkt werden.
Opfertheorie und Unsterblichkeit sind die Instrumente, mit denen die morali-
sche Fälschung des Christentums weltgeschichtlich wirksam geworden sei
(Abschnitte 37 bis 46). Insbesondere der Wissenschaft gegenüber bleibe das
Christentum radikal ablehnend (Abschnitte 47-49). Die Abschnitte 50 bis 55
 
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