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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0035
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12 Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum

entwerfen eine „Psychologie des Glaubens", derzufolge Überzeugungen
Gefängnisse seien, wogegen man sich einzig mit Skepsis und Philologie wapp-
nen könne. Als Gegenmodell zum Christentum und als Beispiel eines sozial
heilsamen Gebrauchs „heiliger Lüge" bieten die Abschnitte 56 und 57 einen
Einblick in das Gesetzbuch des Manu, dessen Kastenordnung AC (im Unter-
schied zu diesbezüglichen Nachlassaufzeichnungen N.s) ausdrücklich gut-
heißt. Das Christentum habe, so die Abschnitte 58 bis 61, das Römische Reich
untergraben, das kulturelle Erbe der Antike zerstört, sei dem Islam hoffnungs-
los unterlegen, und habe schließlich in Gestalt der Reformation verheißungs-
volle antichristliche Tendenzen der Renaissance im Keime erstickt. Der letzte
Abschnitt fasst die Vorwürfe in Form einer Urteilsverkündung noch einmal
zusammen, während das angehängte „Gesetz wider das Christenthum" ein-
zelne seiner Repräsentanten und Repräsentationen als verdammungswürdig
aufführt.

5 Stellenwert des Antichrist in N.s Schaffen
Seit der Geburt der Tragödie, die eine Erneuerung der Kultur im Geiste des
Wagnerischen Musikdramas und einer neuen Mythologie anstrebte, verstand
sich N. ausdrücklich als Philosoph, freilich außerhalb des schulphilosophi-
schen Referenzrahmens. Mehr und mehr nahm sein Denken gegen Ende der
siebziger Jahre einen radikalaufklärerischen, freigeisterischen Charakter an.
Nach Analyse und Destruktion der bisherigen Sinnstiftungen ging N. in den
frühen achtziger Jahren auf die Suche nach neuen, „positiven" Inhalten — eine
Suche, die mit den ,Lehren' von Also sprach Zarathustra in die Phase ihrer
Konsolidierung trat. Diese ,Lehren' nahmen etwa die Gestalt der Ewigen Wie-
derkunft des Gleichen, des Übermenschen und des Willens zur Macht an. Mitte
der achtziger Jahre verlagerte sich das Schwergewicht von N.s Denken auf die
Frage nach den Ursprüngen und möglichen Revisionen menschlichen Wertens,
der Moral, wie N. dieses Konglomerat des Wertens generalisierend nannte. Zur
Genealogie der Moral unternahm eine natur- und gattungsgeschichtliche Erklä-
rung der Moral(en) und wies nach, dass alle Moral durch historische Umstände
bedingt und nicht als zeitlose Wahrheit geoffenbart sei. In seiner letzten Schaf-
fensphase fasste N. eine „Umwerthung aller Werthe" ins Auge, die seine
Erkenntnisse über den Ursprung der Moral in die Tat umsetzen sollte. AC hätte
zunächst ein erster von vier Teilen dieser die bisher gültigen Werte auf den
Kopf stellenden „Umwerthung aller Werthe" sein sollen, bis N. schließlich wie
erwähnt nach der Fertigstellung des Textes befand, die ganze Umwerthung sei
bereits im Antichrist enthalten (vgl. z. B. Horneffer 1907, 19 u. 27). Diese Schrift,
 
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