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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0364
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Überblickskommentar 341

ders sinnfällig ist dies bei der kaum weiter steigerbaren Unbescheidenheit, die
das sprechende Ich als Schicksalsgestalt der Weltgeschichte an den Tag legt.
Diese stellenweise größenwahnsinnig anmutende Unbescheidenheit ist die
Inversion der christlich geforderten Demut (die im Übrigen Augustin seinen
Confessiones zugrundelegte). N. inszeniert Unbescheidenheit als Gegentugend
und nimmt damit negativ Bezug auf seine ,Hauptquelle': das Wertesystem des
christlichen Abendlandes.

4 Konzeption und Struktur
Die endgültige Struktur von EH hat sich erst im Laufe der Arbeit am Text
herausgebildet. Von der Oktober-Fassung über die Zwischenstufe, die Versio-
nen von Mitte November und Ende November bis zu den Revisionen von
Anfang Dezember und schließlich Ende Dezember 1888 reicht ein weiter Weg
der Umgestaltung und Ausdifferenzierung (zu den einzelnen Fassungen vgl.
ÜK EH 1). Bis zuletzt bleibt der „Wille zur Textkomposition" (Langer 2005, 98)
in EH wirksam, was sich gerade auch in den fortwährenden Veränderungen
des Textes zeigt. Das im Manuskript der letzten Fassung ausgewiesene Inhalts-
verzeichnis (KSA 6, 262) nennt sechs eigentliche Kapitelüberschriften — sowie
nach der dritten Kapitelüberschrift jeweils auf neuen Zeilen eingerückt den
Titel von zehn Büchern N.s. Man mag im Hinblick auf die vehement betriebene
Selbstapotheose des in EH sprechenden Ichs die Beschränkung auf zehn
Bücher (Der Antichrist [AC] und die Philologica werden nicht mitgezählt) mit
dem mosaischen Dekalog assoziieren und die sechs Kapitelüberschriften mit
dem Sechstagewerk im Schöpfungsbericht der Genesis. Jedoch wird dieser
Assoziationsrahmen überschritten, denn die letzten beiden mit Kapitelüber-
schriften angekündigten Texte, nämlich „Kriegserklärung" und „Der Hammer
redet", sind schließlich entfallen (oder allenfalls von der Familie vernichtet
worden). So könnte es scheinen, als bestehe EH — vom Inhaltsverzeichnis und
dem Einschub „An diesem vollkommnen Tage" (KSA 6, 263) abgesehen — aus
nur vier Kapiteln, wenn man die Abschnitte über die einzelnen Werke, wie es
häufig geschieht, als Unterkapitel von EH Warum ich so gute Bücher schreibe
begreift. Jedoch findet sich im Druckmanuskript am Ende von EH Warum ich
so gute Bücher schreibe 6 der Hinweis für den Drucker „Schluß des Capitels
,Warum ich so gute Bücher schreibe'" (KSA 14, 486). Damit wären
die einzelnen Retraktationen von N.s Schriften nicht als Unter-, sondern als
eigenständige Kapitel anzusehen, was im Blick auf deren jeweilige Länge
ebenso einleuchtend erscheint wie im Blick auf den Umstand, dass sie gerade
nicht mehr die Frage beantworten, warum N. so gute Bücher schreibe, sondern
 
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