Stellenkommentar EH M, KSA 6, S. 328-329 523
Buche und nicht Freund Ree. Ich bin stolz darauf, dessen herrliche Eigenschaf-
ten und Ziele entdeckt zu haben, aber auf die Conception meiner ,Philosophia
in nuce' hat er nicht den allergeringsten Einfluss gehabt." (KSB 5,
Nr. 727, S. 333, Z. 25-29) Die Angst, mit Ree verwechselt zu werden, kehrte bei
N. freilich wieder, als Ree ihm sein (erst 1885 erscheinendes) Buch Die Entste-
hung des Gewissens dedizieren wollte: „Mit Ree habe ich ,abgeschlossen': d. h.
ich habe mir die Widmung seines Hauptwerks — verbeten. — / Ich will mit
Niemandem mehr verwechselt werden." (N. an Köselitz, 17. 04. 1883, KSB 6,
Nr. 402, S. 360, Z. 36-38).
Die scheinbar ideale Lösung für dieses Verwechslungsproblem findet N.
nun in EH MA 6, indem er im Handstreich Rees Erkenntnis und sein Buch als
die eigene Leistung vereinnahmt: „lisez: Nietzsche, der erste Immoralist"
(KSA 6, 328, 12 f.). Der Leser bekommt den Eindruck, überall dort, wo man bei
Ree etwas Richtiges lesen könne, stehe N. selbst dahinter. Wo Ree hingegen
etwas Eigenes sage, da habe N. schon in MA I vehement widersprochen. Als
Beleg dafür beruft sich N. in 328, 7-9 auf GM Vorrede 4, KSA 5, 250 f., wo N.
von Rees Ursprung der moralischen Empfindungen behauptet hat: „Vielleicht
habe ich niemals Etwas gelesen, zu dem ich dermaassen, Satz für Satz, Schluss
für Schluss, bei mir Nein gesagt hätte wie zu diesem Buche" (KSA 5, 250, 26-
28). In KSA 6, 327, 27-328, 25 hält es N. für ganz überflüssig, seine sachlichen
Differenzen zu Ree auch nur namhaft zu machen.
328, 12 lisez: Nietzsche] Am 6. 12. 1888 schrieb August Strindberg an N.: „Je
termine toutes mes lettres ä mes amis: lisez Nietzsche: C'est mon Carthago est
delenda!" (KGB III 6, Nr. 621, S. 376, Z. 20 f. „Ich beende alle meine Briefe mit
dem Satz: lesen Sie Nietzsche: Das ist mein ,Karthago muss zerstört werden!'")
N. übernimmt die Formulierung hier „im Kontext des rückwirkenden Sich-Wie-
derfindens in den eigenen Schriften, auch wenn diese von anderen handeln"
(Langer 2005, 107).
Morgen röthe.
1
329, 2 Gedanken über die Moral als Vorurtheil.] Der Untertitel des Werkes, das
1881 bei Ernst Schmeitzner in Chemnitz erschien, lautet richtig: „Gedanken
über die moralischen Vorurtheile." Auch in der Neuauflage von 1887 änderte
sich daran nichts.
329, 4-11 Mit diesem Buche beginnt mein Feldzug gegen die Moral. Nicht dass
es den geringsten Pulvergeruch an sich hätte: — man wird ganz andre und viel
Buche und nicht Freund Ree. Ich bin stolz darauf, dessen herrliche Eigenschaf-
ten und Ziele entdeckt zu haben, aber auf die Conception meiner ,Philosophia
in nuce' hat er nicht den allergeringsten Einfluss gehabt." (KSB 5,
Nr. 727, S. 333, Z. 25-29) Die Angst, mit Ree verwechselt zu werden, kehrte bei
N. freilich wieder, als Ree ihm sein (erst 1885 erscheinendes) Buch Die Entste-
hung des Gewissens dedizieren wollte: „Mit Ree habe ich ,abgeschlossen': d. h.
ich habe mir die Widmung seines Hauptwerks — verbeten. — / Ich will mit
Niemandem mehr verwechselt werden." (N. an Köselitz, 17. 04. 1883, KSB 6,
Nr. 402, S. 360, Z. 36-38).
Die scheinbar ideale Lösung für dieses Verwechslungsproblem findet N.
nun in EH MA 6, indem er im Handstreich Rees Erkenntnis und sein Buch als
die eigene Leistung vereinnahmt: „lisez: Nietzsche, der erste Immoralist"
(KSA 6, 328, 12 f.). Der Leser bekommt den Eindruck, überall dort, wo man bei
Ree etwas Richtiges lesen könne, stehe N. selbst dahinter. Wo Ree hingegen
etwas Eigenes sage, da habe N. schon in MA I vehement widersprochen. Als
Beleg dafür beruft sich N. in 328, 7-9 auf GM Vorrede 4, KSA 5, 250 f., wo N.
von Rees Ursprung der moralischen Empfindungen behauptet hat: „Vielleicht
habe ich niemals Etwas gelesen, zu dem ich dermaassen, Satz für Satz, Schluss
für Schluss, bei mir Nein gesagt hätte wie zu diesem Buche" (KSA 5, 250, 26-
28). In KSA 6, 327, 27-328, 25 hält es N. für ganz überflüssig, seine sachlichen
Differenzen zu Ree auch nur namhaft zu machen.
328, 12 lisez: Nietzsche] Am 6. 12. 1888 schrieb August Strindberg an N.: „Je
termine toutes mes lettres ä mes amis: lisez Nietzsche: C'est mon Carthago est
delenda!" (KGB III 6, Nr. 621, S. 376, Z. 20 f. „Ich beende alle meine Briefe mit
dem Satz: lesen Sie Nietzsche: Das ist mein ,Karthago muss zerstört werden!'")
N. übernimmt die Formulierung hier „im Kontext des rückwirkenden Sich-Wie-
derfindens in den eigenen Schriften, auch wenn diese von anderen handeln"
(Langer 2005, 107).
Morgen röthe.
1
329, 2 Gedanken über die Moral als Vorurtheil.] Der Untertitel des Werkes, das
1881 bei Ernst Schmeitzner in Chemnitz erschien, lautet richtig: „Gedanken
über die moralischen Vorurtheile." Auch in der Neuauflage von 1887 änderte
sich daran nichts.
329, 4-11 Mit diesem Buche beginnt mein Feldzug gegen die Moral. Nicht dass
es den geringsten Pulvergeruch an sich hätte: — man wird ganz andre und viel