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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0046
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Stellenkommentar AC Vorwort, KSA 6, S. 165-167 23

Vorwort.
Das Vorwort zu AC ist aus Abschnitt 3 des am 03. 09. 1888 verfassten Vorworts
entstanden, das schließlich zum GD-Abschnitt „Was den Deutschen abgeht"
erweitert wurde, vgl. NK GD Vorwort. Dieser ursprüngliche Abschnitt 3 lautet:
„Aber was gehen mich die Deutschen an! Ich schreibe, ich lebe für die
Wenigsten. Sie sind überall, — sie sind nirgendswo. Man muß, um Ohren für
mich zu haben, zuerst ein guter Europäer sein — und dann noch Einiges
dazu!... Die Voraussetzungen, unter denen man meine Schriften — die ernst-
hafteste Litteratur, die es giebt — versteht und dann mit Nothwendigkeit
versteht — ich kenne sie nur zu genau. Eine Instinkt und Leidenschaft
gewordne Rechtschaffenheit, welche bei dem erröthet, was heute moralisch
heißt. Eine vollkommene Gleichgültigkeit, ja Bosheit dafür, ob die Wahrheit
dem, der sie sucht, nützlich oder unangenehm oder Verhängniß wird. Eine
Vorliebe der Stärke für Probleme, zu denen Niemand heute den Muth hat; der
Muth zum Verbotenen; die Vorherbestimmung zum Labyrinth. Die Gesund-
heits-Lehre der Tapferen, mit dem Wahlspruch: increscunt animi, virescit vol-
nere virtus. Die Erfahrung aus sieben Einsamkeiten; neue Ohren für neue
Musik; neue Augen für das Fernste; ein neues Gewissen für bisher stumm
gebliebene Wahrheiten. Der Wille zur Ökonomie großen Stils: seine Kraft, seine
Begeisterung beisammen behalten... Die Ehrfurcht vor sich; die Liebe zu sich;
die unbedingte Freiheit gegen sich... Die Heiterkeit des an Krieg und Sieg
Gewöhnten, — dessen, der auch den Tod kennt!... / Wohlan! Das sind
meine Leser, meine rechten Leser, meine nothwendigen Leser: was liegt am
Rest? — Der Rest ist bloß die Menschheit. — Man muß der Menschheit überle-
gen sein durch Kraft, durch Höhe der Seele — durch Verachtung... / Sils-
Maria, Oberengadin / am 3. September 1888" (KSA 14, 436 f.). Zum „incres-
cunt animi, virescit volnere virtus" vgl. NK KSA 6, 57, 17.
167, 2 Dies Buch gehört den Wenigsten.] Diese „Wenigsten" werden im ganzen
Vorwort als Abwesende behandelt; über sie äußert sich das sprechende „Ich"
(167, 4) jeweils in der dritten Person und spricht so niemanden direkt an, son-
dern schreibt nieder, welchen Erwartungen jene Abwesenden, die idealen
Leser zu genügen haben. Die Lese-Erwartung des Lesers wird von einer kom-
promisslosen Leser-Erwartung des Autors übertrumpft: Dieser Autor will
augenscheinlich nicht Leser gewinnen, sondern potentielle Leseaspiranten
zwingen, sich seinen „Bedingungen" (167, 7) zu unterwerfen, unter denen er
sich selber allein für lesbar hält. Nicht ein Dialog zwischen Leser und Autor
soll stattfinden, vielmehr hat sich der Leser in sein „Verhängniss" (167, 14) zu
schicken. Mit diesem Eingang unterläuft N. die rezeptionsästhetischen Konven-
tionen und verwandelt die übliche Captatio benevolentiae eines Werkanfangs
 
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