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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0036
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Überblickskommentar 13

die als ein Dekret daherkommt, das keinen Widerspruch duldet, scheint N.s
Austritt auch aus dem Kreis der Philosophen zu besiegeln, nachdem er mit GT
aus dem Kreis der Philologen ausgetreten war: Das AC angehängte Gesetz wider
das Christenthum bezeichnet den Philosophen als „Verbrecher der Verbrecher"
(254, 13). Die Philosophie stand bisher, so die dieser Verurteilung zugrunde
liegende Einschätzung, ganz im Dienste jener lebensfeindlichen Moral, die
durch das Christentum die Geschicke der Welt bestimmte. Zugleich setzte N. in
AC jenes kritische Geschäft fort, in dem er sich bereits mit den Werken seiner
Freigeistphase geübt hatte: Die „Umwerthung", wie AC sie enthält, ist wesent-
lich ein Abbruchunternehmen, das nur von Ferne zeigt, worin eine neue Moral
bestehen könnte, die nicht dem „Leben" — N.s sehr offen gehaltene Schlüssel-
kategorie — abträglich ist. Weil AC nach N.s späten Selbstzeugnissen die voll-
endete „Umwerthung aller Werthe" und diese wiederum nach N.s Selbstver-
ständnis von 1888 seine welthistorische Aufgabe war, nahm für ihn die Schrift
einen entscheidenden Platz in seinem Gesamtwerk ein.
Wesentlich ist die Frage nach den Adressaten von AC, der sich gemäß
Vorwort nur an die „Wenigsten" richtet — möglichst an die, die noch gar nicht
geboren sind —, aber, wie etwa aus dem Brief an Paul Deussen vom 26. 11.
1888 hervorgeht (KSB 8, Nr. 1159, S. 492), gleich in Millionenauflage erscheinen
soll. Zwischen den Schwachen und den Starken scheint nach AC keine Durch-
lässigkeit zu bestehen. So kann es für AC eigentlich kein großes Publikum
geben, mit dem bereits Also sprach Zarathustra — „Ein Buch für Alle und Kei-
nen" (Za Untertitel, KSA 4, 9) — liebäugelte. Für wen ist AC dann bestimmt?
Man darf vermuten, dass die „Wenigsten" über die Dinge, die N. ihnen in Form
rhetorisch inszenierter Geschichte vorträgt (vgl. Stingelin 1996, 121), längst
durch N.s frühere Schriften zur Genüge unterrichtet sind. Wirkt AC auf seine
berufenen und unberufenen Leserinnen und Leser so, wie das die im Briefent-
wurf an Brandes von Anfang Dezember 1888 erklärte Absicht war, nämlich das
Christsein als „unehrenhaft, feige, unreinlich" (KSB 8, Nr. 1170,
S. 501) zu durchschauen? Werden die „Wenigsten" das nicht immer schon
gewusst haben, wenn sie ihr Handeln doch kaum durch die von AC an den
Pranger gestellte christliche Moral des Mitleids und der Schwäche bestimmen
ließen? Was ändert denn die christliche Rhetorik der Militärs und Politiker —
der „Antichristen der That" (AC 38, KSA 6, 211, 4) — am Faktum, dass es mit
der Christlichkeit der Moderne nicht mehr weit her ist, und dass AC nach N.s
eigener Kulturdiagnose damit nur noch auf etwas Sterbendes eindrischt?
„Der Rest folgt daraus" (254, 31), lautet der „Siebente Satz" von GWC.
Auf gleiche Weise sollte wohl aus der exemplarisch vorgeführten Kritik am
Christentum in AC beim Leser die Umwertung aller Werte ,folgen', sich nämlich
lebenspraktisch vollziehen. Die Schrift, die verschiedene Methoden der Entlar-
 
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