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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0050
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Stellenkommentar AC, KSA 6, S. 167-169 27

In der Formulierung von 167, 20 f. wirken Lektüreeindrücke aus Emanuel
Herrmanns Cultur und Natur nach, der in seiner „reinen Ökonomie" den sonst
vertretenen Gegensatz von Natur und Kultur kassiert hat, vgl. Müller-Lauter
1999b, 177 u. zur Interpretation von 167, 20 f. Müller-Lauter 1999b, 334, ferner
Sommer 2000a, 71-73. Herrmann immanentisiert eine Theodizee-Vorstellung, die
bereits christliche Kirchenväter vertreten hatten: „Vom Standpunkte der Gesammt-
ökonomie ist jedes Uebel ein Gutes, auch das böseste." (Herrmann 1887, 5;
Kursiviertes von N. unterstrichen.) Zum „grossen Stil" ohne ökonomischen
Zusatz siehe NK KSA 6, 304, 32-305, 1, zur Ökonomie NK KSA 6, 368, 22-30.
167, 21 f. Ehrfurcht vor sich] Diesen Begriff konnte N. Goethes Wilhelm Meisters
Wanderjahren entnehmen (2. Buch, 1. Kapitel), wonach „die oberste Ehrfurcht"
„die Ehrfurcht vor sich selbst" sei. Den geistesgeschichtlichen Horizont des Ehr-
furchtsbegriffs erschließt Claussen 2006. Vgl. NK KSA 6, 151, 25 f. und 152, 13.
167, 24-168, 1 was liegt am Rest? — Der Rest ist bloss die Menschheit.] Vgl.
NK KSA 6, 35, 18. N. benutzt den Begriff der Menschheit hier synonym für die
gleichgültige, große Masse der Durchschnittsmenschen. Der im frühen 18. Jahr-
hundert von der humanitas Christi her gelegentlich noch theologisch konno-
tierte Begriff der Menschheit wird in der spekulativ-universalistischen
Geschichtsphilosophie seit etwa 1750 als Gesamtheit aller Menschen mehr und
mehr quantitativ bestimmt. In 168, 1 ist eine Kritik an der geschichtsphiloso-
phischen, insbesondere idealistischen und sozialistischen Verwendung der
Menschheitsvokabel impliziert — eine Verwendung, die der Menschheit als
Gattung das Entwicklungspotential zu immer erfreulicheren Zuständen zu-
schrieb und damit alle Einzelmenschen dem Kollektiv- oder Gattungsschicksal
unterwarf. N.s Wunsch-Leser als unbedingt zukünftige stehen demgegenüber
jenseits dieser vereinnahmenden Gesamtheit aller Menschen — es sind „Hyper-
boreer" (AC 1, KSA 6, 169, 1). Die Menschheit als Summe aller Menschen kann
nach N. schwerlich ,verbessert' werden. Vgl. zur Begriffsgeschichte Bödeker
1980 (zu N. ebd., 1135) und zur geistesgeschichtlichen Entwicklung des „Huma-
nitäts"-Gedankens im 19. Jahrhundert Löwith 1988, 387-408 (zu N. 405-408).
Schopenhauer hingegen legt sein Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung
ausdrücklich der „Menschheit" ans Herz — aber wie N. seinen Antichrist
,,[n]icht den Zeitgenossen, nicht den Landsgenossen" (Schopenhauer 1873-
1874, 2, XVI).
1-7
169, 1-174, 17 Unter dem Titel „Wir Hyperboreer" hätten nach dem Plan vom
26. 08. 1888 die schließlich zu AC 1-7 gewordenen Abschnitte die Vorrede zum
geplanten Willen zur Macht werden sollen (KSA 14, 437).
 
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