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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0063
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40 Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum

der Tat — denn daran, dass der „höherwertigere Typus" verwirklicht werden
soll, kann für die Hyperboreer oder für die Leser auf dem Weg zur Höherwertig-
keit kein Zweifel bestehen. N. erzeugt die Suggestion, bei seinem Postulat oder
seiner Frage handle es sich um ein tatsächliches Problem. In theoretischer
Hinsicht ist das Problem des zu züchtenden Menschen zunächst rein rheto-
risch. Es gilt in einer früheren Fassung des Textes ausdrücklich „mein Prob-
lem" (NL 1887/88, KSA 13, 11[414], 192, 17 = KGW IX 7, W II 3, 3, 32) - das
„Problem" jenes „Ichs", das die „Wir" von AC 1 wieder ablöst. Die andere,
noch stark abweichende Vorarbeit NL 1888, KSA 13, 15[120], 481, 15 f. spricht
von einem „Problem", das „mich angeht", nämlich vom „Problem der Rangord-
nung innerhalb der Gattung Mensch". Auch hier ist die Optik subjektiviert,
während in 170, 19 jenes „Problem", das das „Ich" hat, zu dem (entscheiden-
den) „Problem" wird, welches das „Ich" den Aspiranten auf Hyperboreertum
stellt.
170, 20-22 welchen Typus Mensch man züchten soll, wollen soll, als den
höherwerthigeren, lebenswürdigeren, zukunftsgewisseren] Der zu züchtende
„Typus Mensch" ist durch Komparative gekennzeichnet, die hinwiederum
keine vom Überwundenen abgelösten Prädikate sind. Das Künftige kann nur in
Differenz zu dem bereits unter dem Namen „Mensch" Aufgetretenen bestimmt
werden; der neue „Typus" ist noch nicht zu fester Gestalt geronnen. Die Kom-
parative suspendieren die Möglichkeit des Superlativs, des definitiven „Über-
menschen" (der terminologisch hier gar nicht vorkommt). Die ersten beiden
Attribute reproduzieren die Perspektive des Züchters, wohingegen das dritte
immerhin die innere Befindlichkeit des neuen „Typus" wiedergibt. Nur wer
von außen urteilt und über ein tertium comparationis verfügt, kann ein Urteil
über Höherwertigkeit und größere Lebenswürdigkeit abgeben.
170, 23-28 Dieser höherwerthigere Typus ist oft genug schon dagewesen: aber
als ein Glücksfall, als eine Ausnahme, niemals als gewollt. Vielmehr ist er
gerade am besten gefürchtet worden, er war bisher beinahe das Furchtbare; —
und aus der Furcht heraus wurde der umgekehrte Typus gewollt, gezüchtet,
erreicht] Wenn der neue „Typus" durch die Steigerung einiger bisher unzu-
reichend verwirklichter Qualitäten projektiert wird (170, 21f.), beeinträchtigt
die Unkenntnis über die Art der Qualitäten offenbar die Erkenntnis nicht, dass
dieser „Typus" gelegentlich bereits aufgetreten sei. Ihre Höherwertigkeit
erweist sich gerade darin, dass sie anders, am meisten gefürchtet waren. Inwie-
fern verbürgt dies jedoch Höherwertigkeit? Wenn die Durchschnittsmenschen
nach AC 2 in die Kategorie „schlecht" oder „schädlich" fallen, ist der neue
„Typus" schwerlich ihr Abkömmling. Für das mögliche Umschlagen von
„schädlich" und „schlecht" in „besser", gar in „gut" bieten AC 2 und 3 keine
 
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