Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0108
Lizenz: In Copyright
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stellenkommentar AC 14, KSA 6, S. 180 85

180, 10 f. jedes Wesen ist, neben ihm, auf einer gleichen Stufe der Vollkommen-
heit] Nach Nägeli 1884, 567 „entspricht der Grad der Vollkommenheit, zu dem
sich jedes Sinneswerkzeug [beim Menschen] ausgebildet hat, genau dem
Bedürfnisse, und es giebt keines, in welchem der menschliche Organismus
nicht von irgend einer Thierspecies sich weit übertroffen sähe". Vgl. auch das
Kapitel „Problem der Vervollkommnung" bei Rolph 1884, 71-121.
180, 12-15 der Mensch ist, relativ genommen, das missrathenste Thier, das
krankhafteste, das von seinen Instinkten am gefährlichste(n) abgeirrte — freilich,
mit alle dem, auch das interessanteste !] Das Interesse am Menschen wird
also pathologisch begründet: Er ist ein ganz besonders interessanter klinischer
Fall, dessen Hirngespinste Aufmerksamkeit verdienen, vgl. schon Feuerbach
1904, 26, der religiöse Phänomene, namentlich Theologie als Fälle „psychi-
sche[r] Pathologie" behandelt. Dass der Mensch im Vergleich zu anderen Tie-
ren Instinkte verloren habe, ist eine in der zeitgenössischen naturwissenschaft-
lichen Literatur verbreitete Ansicht, die beispielsweise Charles Darwin in The
Descent of Man prominent vertreten hat, ohne diesen Sachverhalt jedoch wie
N. negativ zu bewerten. Im Gegenteil führt er gerade das sozial-altruistische
Verhalten des Menschen auf die tierische Gattungsgeschichte zurück, während
N. (in der Genealogie der Moral) dieses Verhalten erst aus der jüngeren Mensch-
heitsgeschichte heraufdämmern sieht: „Obschon der Mensch, wie er jetzt exis-
tirt, wenig specielle Instincte hat und wohl alle, welche seine frühen Urerzeu-
ger besessen haben mögen, verloren hat, so ist dies doch kein Grund, warum
er nicht von einer äusserst entfernten Zeit her einen gewissen Grad instinctiver
Liebe und Sympathie für seine Genossen behalten haben sollte." (Darwin 1871,
1, 72).
180, 15-21 Was die Thiere betrifft, so hat zuerst Descartes, mit verehrungswürdi-
ger Kühnheit, den Gedanken gewagt, das Thier als machina zu verstehn: unsre
ganze Physiologie bemüht sich um den Beweis dieses Satzes. Auch stellen wir
logischer Weise den Menschen nicht bei Seite, wie noch Descartes that: was
überhaupt heute vom Menschen begriffen ist, geht genau so weit als er machinal
begriffen ist.] Vgl. z. B. Liebmann 1880, 504 f.: „Wenn Leibnitz die ,consecu-
tiones bestiarum' für bloße Gedächtnißsache, d. h. Associationsproduct,
erklärt, den Thieren den Verstand, also die Erkenntniß der Identität, Nichtidenti-
tät und des Causalnexus abspricht, so scheint mir dies einer Widerlegung
ebenso unwürdig, als wenn Descartes sie für blosse Maschinen erklärt,
während der Mensch unter allen Erdenbewohnern allein eine ,substantia cogi-
tans' in seiner Zirbeldrüse herumtragen soll. Dergleichen offenbar tendenziös
erfundene, /505/ widernatürliche Dogmen richten sich selbst. Die Thiere
haben Verstand; und die gesuchte Grenze liegt ohne Zweifel irgendwo auf
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften