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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0121
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98 Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum

Gefühlen der Macht, welche als fremd den Menschen überraschen". Den
zentralen Machtaspekt der alten germanischen Gottesvorstellung betont Lip-
pert 1882, 330 f. Zu den systematischen Implikationen dieser machtpsychologi-
sierenden Überlegungen siehe Weischedel 1971, 1, 435 f.
182, 16-20 Religion, innerhalb solcher Voraussetzungen, ist eine Form der
Dankbarkeit. Man ist für sich selber dankbar: dazu braucht man einen Gott. —
Ein solcher Gott muss nützen und schaden können, muss Freund und Feind sein
können] Vgl. NK 182, 14 f. Relevante religionsgeschichtliche Information zur
Entwicklung des Gottesbegriffs im Alten Israel bezog N. neben der Verwertung
von Dostoievsky 1886a (siehe NK 182, 11-13) aus Wellhausens Skizzen und Vor-
arbeiten: „Nie wurde das Wort zur Mutter des Gedankens gemacht, aber die
lebendige Evidenz des Gefühlten vertrug sich mit grosser Sorglosigkeit des Aus-
drucks. Die Wahrhaftigkeit der Empfindung hatte auch vor Widersprüchen
keine Scheu. Jahve hatte unberechenbare Launen, er liess sein Antlitz leuchten
und zürnte man wusste nicht warum, er schuf Gutes und schuf Böses, strafte
die Sünde und verleitete zur Sünde — der Satan hatte ihm damals noch keinen
Teil seines Wesens abgenommen." (Wellhausen 1884, 46; von N. Unterstriche-
nes hier kursiv).
In Israel kamen nach Wellhausen mit dem Verfall des davidischen König-
tums und der politischen Integrität des Landes, mit den Propheten und dem
Exil bald schon andere Vorstellungen auf. So heißt es — von N. am Rand mar-
kiert — über den Gott der Propheten: „Was Jahve fordert, ist Gerechtigkeit,
nichts anderes; was er hasst, ist das Unrecht. Die Beleidigung der Gottheit, die
Sünde, ist durchaus moralischer Natur. Mit so ungeheuerem Nachdruck war
das nie zuvor betont worden. Die Moral ist es, wodurch alle Dinge Bestand
haben, das allein Wesenhafte in der Welt. Sie ist kein Postulat, keine Idee,
sondern Notwendigkeit und Thatsache zugleich." (Ebd., 48 f.) Die Entwicklung
schritt — von N. am Rand mit „NB" hervorgehoben — unaufhaltsam fort: „Die
Moral sprengte, in Folge eines geschichtlichen Anlasses, die Schranken des
engen Glaubens, in dem sie aufgewachsen war, und führte den Fortschritt der
Gotteserkenntnis herbei. Dies ist der sogenannte ethische Monotheismus der
Propheten; sie glauben an die sittliche Weltordnung, an die ausnahmslose Gel-
tung der Gerechtigkeit als obersten Gesetzes für die ganze Welt. Von da aus
scheinen nun die Prärogative Israels hinfällig zu werden." (Ebd., 50; von N.
Unterstrichenes kursiv).
In AC 16 ist der Volksgott die Kontrastfolie, von der sich der abstrakt-mora-
lische Gott unvorteilhaft abhebt, was keineswegs gleichbedeutend ist mit einer
„Bejahung" dessen, was als Kontrastfolie herhält (vgl. dazu Orsucci 1996, 323).
N. entwirft in AC gerade nicht das Gegenbild eines dionysischen Gottes, an
den man nun anstelle des christlichen glauben solle (gegen Hirsch 1986). Vgl.
 
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