Stellenkommentar AC 16, KSA 6, S. 182 97
einmal ungefähr auseinanderhalten; im Gegenteil hat sie diese immer zu ihrer
Schande verwechselt; die Wissenschaft hat zugunsten der brutalen Gewalt ent-
schieden. [...] Erniedrige ich Gott, wenn ich ihn als Merkmal der Nationalität
betrachte?, schrie Chatoff, — im Gegenteil, ich erhebe das Volk auf die Höhe
von Gott. Und wann war dies schon anders? Das Volk ist der Körper Gottes.
Eine Nation verdient diesen Namen bloß so lange, wie sie ihren eigenen Gott
hat und alle anderem Götter absolut zurückstößt; so lange wie sie mit ihrem
Gott über andere Götter siegt und alle fremden Gottheiten aus der Welt jagt.
Dies war seit Anbeginn der Zeit der Glaube aller großen Völker.") N. dekontex-
tualisiert einen fiktiven Text — der im russischen Volk das „seul peuple ,dei-
fere"' (ebd., 276) sieht! — und benutzt ihn so, als ob es sich um eine verlässli-
che religionsgeschichtliche Quelle handelte — natürlich ohne in AC 16 die
Herkunft zu verraten. Vgl. auch NK 183, 31 f.
182, 14 f. es projicirt seine Lust an sich, sein Machtgefühl in ein Wesen, dem
man dafür danken kann] Damit variiert N. einen Grundgedanken der insbeson-
dere in Feuerbachs Wesen des Christenthums ausgearbeiteten Projektionstheo-
rie, wonach Gott nichts weiter als eine Projektion menschlicher Wünsche ist.
Die Überlegung findet sich z. B. auch in dem für AC 20-23 benutzten Werk
Buddha von Hermann Oldenberg: „Ein jedes Volk schafft sich seine Götter nach
seinem Bilde und wird nicht minder umgekehrt durch das, was seine Götter
sind, zu dem geschaffen, was es selbst ist. Ein geschichtliches Volk schafft
sich Götter, die in der Geschichte ihre Macht beweisen, die seine Schlachten
mitschlagen und seinen Staat mitregieren." (Oldenberg 1881, 54) Paul Ree
zitiert diese Stelle in seiner Schrift Die Entstehung des Gewissens (Ree 1885,
134, Anm. 59; Ree 2004, 287, dort Anm. 58), wo er ein Kapitel (§ 21) ganz der
„Menschenähnlichkeit der Götter" widmet (Ree 2004, 285-292).
Das spezifische Motiv der Dankbarkeit — siehe 182, 16-20 — als Quelle von
Religion trägt N. in sein Bild der altisraelitischen Religion ein, vgl. NK 193, 20-
24.
Dieses Thema dürfte auch im Gespräch mit Lou von Salome eine Rolle
gespielt haben, jedenfalls ist es in deren Roman Im Kampf um Gott präsent:
„Aber im Glücke würde mich nach einem Gott verlangen. Das bloße Glück, es
hat etwas Gemeines und Rohes, es gleicht einem herrenlosen, gleichsam auf
der Straße aufgegriffenen Gut, nach welchem Alle haschen und das der Zufall
Einem unter ihnen in die Hand schiebt. [...] Es veredelt das Glück, daß wir für
dasselbe danken können; und vielleicht ist es noch schwerer im Glücke als
im Leide einsam zu sein." ([Salome] 1885, 197 = Salome 2007, 168).
182, 14 sein Machtgefühl] Vgl. 1888, KSA 13, 14[124], 306, 14-16 (KGW IX 8, W
II 5, 92, 48-50): „In summa: der Ursprung der Religion liegt in den extremen
einmal ungefähr auseinanderhalten; im Gegenteil hat sie diese immer zu ihrer
Schande verwechselt; die Wissenschaft hat zugunsten der brutalen Gewalt ent-
schieden. [...] Erniedrige ich Gott, wenn ich ihn als Merkmal der Nationalität
betrachte?, schrie Chatoff, — im Gegenteil, ich erhebe das Volk auf die Höhe
von Gott. Und wann war dies schon anders? Das Volk ist der Körper Gottes.
Eine Nation verdient diesen Namen bloß so lange, wie sie ihren eigenen Gott
hat und alle anderem Götter absolut zurückstößt; so lange wie sie mit ihrem
Gott über andere Götter siegt und alle fremden Gottheiten aus der Welt jagt.
Dies war seit Anbeginn der Zeit der Glaube aller großen Völker.") N. dekontex-
tualisiert einen fiktiven Text — der im russischen Volk das „seul peuple ,dei-
fere"' (ebd., 276) sieht! — und benutzt ihn so, als ob es sich um eine verlässli-
che religionsgeschichtliche Quelle handelte — natürlich ohne in AC 16 die
Herkunft zu verraten. Vgl. auch NK 183, 31 f.
182, 14 f. es projicirt seine Lust an sich, sein Machtgefühl in ein Wesen, dem
man dafür danken kann] Damit variiert N. einen Grundgedanken der insbeson-
dere in Feuerbachs Wesen des Christenthums ausgearbeiteten Projektionstheo-
rie, wonach Gott nichts weiter als eine Projektion menschlicher Wünsche ist.
Die Überlegung findet sich z. B. auch in dem für AC 20-23 benutzten Werk
Buddha von Hermann Oldenberg: „Ein jedes Volk schafft sich seine Götter nach
seinem Bilde und wird nicht minder umgekehrt durch das, was seine Götter
sind, zu dem geschaffen, was es selbst ist. Ein geschichtliches Volk schafft
sich Götter, die in der Geschichte ihre Macht beweisen, die seine Schlachten
mitschlagen und seinen Staat mitregieren." (Oldenberg 1881, 54) Paul Ree
zitiert diese Stelle in seiner Schrift Die Entstehung des Gewissens (Ree 1885,
134, Anm. 59; Ree 2004, 287, dort Anm. 58), wo er ein Kapitel (§ 21) ganz der
„Menschenähnlichkeit der Götter" widmet (Ree 2004, 285-292).
Das spezifische Motiv der Dankbarkeit — siehe 182, 16-20 — als Quelle von
Religion trägt N. in sein Bild der altisraelitischen Religion ein, vgl. NK 193, 20-
24.
Dieses Thema dürfte auch im Gespräch mit Lou von Salome eine Rolle
gespielt haben, jedenfalls ist es in deren Roman Im Kampf um Gott präsent:
„Aber im Glücke würde mich nach einem Gott verlangen. Das bloße Glück, es
hat etwas Gemeines und Rohes, es gleicht einem herrenlosen, gleichsam auf
der Straße aufgegriffenen Gut, nach welchem Alle haschen und das der Zufall
Einem unter ihnen in die Hand schiebt. [...] Es veredelt das Glück, daß wir für
dasselbe danken können; und vielleicht ist es noch schwerer im Glücke als
im Leide einsam zu sein." ([Salome] 1885, 197 = Salome 2007, 168).
182, 14 sein Machtgefühl] Vgl. 1888, KSA 13, 14[124], 306, 14-16 (KGW IX 8, W
II 5, 92, 48-50): „In summa: der Ursprung der Religion liegt in den extremen