108 Der Antichrist. Fluch auf das Christenthum
Gottes" darstellen, fügt aber in einer Parenthese hinzu: „Entwicklungen sind
Krankheiten".
185, llf. der Wille zum Nichts heilig gesprochen!...] In NL 1888, KSA 13, 17[4]3,
525, 9-12 folgt darauf: „So weit haben wir's gebracht!... / Weiß man es noch
nicht? das Christenthum ist eine nihilistische Religion — um ihres Gottes
willen..." Die ausdrückliche Identifikation des Christentums als nihilistischer
Religion fehlt bei der Erörterung der Entwicklung des Gottesbegriffs in AC 16
bis 19, wird aber in AC 20, KSA 6, 186, 5 ausgesprochen.
19
Der Abschnitt ähnelt jenen Texten, die von der Forschung aus dem Nachlass
als Belege für eine Neubelebung des Göttlichen beim späten N. herangezogen
wurden. Diese sogenannten „Auferstehungstexte" scheinen eine immoralisti-
sche Überwindung der „Gott-ist-todt"-Diagnose in FW 125, KSA 3, 480-482
anzudeuten und einen dionysisch-herakliteischen Gott jenseits von Gut und
Böse zu postulieren (vgl. die abwägenden Erörterungen bei Margreiter 1978 u.
1991 sowie Striet 1998). Dagegen ist einzuwenden, dass die Annahme eines
solchen späten Theismus sich einerseits mit den von N. publizierten und zur
Publikation vorgesehenen Texten schwerlich zur Deckung bringen lässt, und
dass sie andererseits dazu verführt, die erdrückenden Zeugnisse für N.s Atheis-
mus als Selbstverfehlung hinzustellen. AC 19 charakterisiert es nur als bedenk-
lichen Mangel an schöpferischer Phantasie, dass „die starken Rassen" „keinen
Gott mehr geschaffen" (185, 14 u. 22) hätten. Nach AC 16 dient die Gotteser-
findung einem Volk dazu, sein Selbstbewusstsein, seine Identität zu konstitu-
ieren und zum Ausdruck zu bringen; sie ist rein funktional. Die metareligiöse
Reflexion in AC 16 bis 19 stellt das Illusionäre und Fiktionäre jeder Gotteskon-
struktion qua Konstruktion eines höchsten Wertes heraus: Sie mag nützlich
sein, „wahr" ist sie darum nicht.
185, 14-18 Dass die starken Rassen des nördlichen Europa den christlichen Gott
nicht von sich gestossen haben, macht ihrer religiösen Begabung wahrlich keine
Ehre, um nicht vom Geschmacke zu reden. Mit einer solchen krankhaften und
altersschwachen Ausgeburt der decadence hätten sie fertig werden müssen.]
Hellwald 1877a, 2, 8 f. erzählt die Missionsgeschichte mit anderem Akzent: „In
Betreff der Grundanschauung des Christenthums standen die germanischen
Völker, Angelsachsen, Deutsche und Nordländer, in vollständiger Ueberein-
stimmung mit einander. Sie gehen aus von einem /9/ allerdings einseitigen,
oft recht unbändigen, immer aber kräftigem Persönlichkeitsgefühle. Männlich
Gottes" darstellen, fügt aber in einer Parenthese hinzu: „Entwicklungen sind
Krankheiten".
185, llf. der Wille zum Nichts heilig gesprochen!...] In NL 1888, KSA 13, 17[4]3,
525, 9-12 folgt darauf: „So weit haben wir's gebracht!... / Weiß man es noch
nicht? das Christenthum ist eine nihilistische Religion — um ihres Gottes
willen..." Die ausdrückliche Identifikation des Christentums als nihilistischer
Religion fehlt bei der Erörterung der Entwicklung des Gottesbegriffs in AC 16
bis 19, wird aber in AC 20, KSA 6, 186, 5 ausgesprochen.
19
Der Abschnitt ähnelt jenen Texten, die von der Forschung aus dem Nachlass
als Belege für eine Neubelebung des Göttlichen beim späten N. herangezogen
wurden. Diese sogenannten „Auferstehungstexte" scheinen eine immoralisti-
sche Überwindung der „Gott-ist-todt"-Diagnose in FW 125, KSA 3, 480-482
anzudeuten und einen dionysisch-herakliteischen Gott jenseits von Gut und
Böse zu postulieren (vgl. die abwägenden Erörterungen bei Margreiter 1978 u.
1991 sowie Striet 1998). Dagegen ist einzuwenden, dass die Annahme eines
solchen späten Theismus sich einerseits mit den von N. publizierten und zur
Publikation vorgesehenen Texten schwerlich zur Deckung bringen lässt, und
dass sie andererseits dazu verführt, die erdrückenden Zeugnisse für N.s Atheis-
mus als Selbstverfehlung hinzustellen. AC 19 charakterisiert es nur als bedenk-
lichen Mangel an schöpferischer Phantasie, dass „die starken Rassen" „keinen
Gott mehr geschaffen" (185, 14 u. 22) hätten. Nach AC 16 dient die Gotteser-
findung einem Volk dazu, sein Selbstbewusstsein, seine Identität zu konstitu-
ieren und zum Ausdruck zu bringen; sie ist rein funktional. Die metareligiöse
Reflexion in AC 16 bis 19 stellt das Illusionäre und Fiktionäre jeder Gotteskon-
struktion qua Konstruktion eines höchsten Wertes heraus: Sie mag nützlich
sein, „wahr" ist sie darum nicht.
185, 14-18 Dass die starken Rassen des nördlichen Europa den christlichen Gott
nicht von sich gestossen haben, macht ihrer religiösen Begabung wahrlich keine
Ehre, um nicht vom Geschmacke zu reden. Mit einer solchen krankhaften und
altersschwachen Ausgeburt der decadence hätten sie fertig werden müssen.]
Hellwald 1877a, 2, 8 f. erzählt die Missionsgeschichte mit anderem Akzent: „In
Betreff der Grundanschauung des Christenthums standen die germanischen
Völker, Angelsachsen, Deutsche und Nordländer, in vollständiger Ueberein-
stimmung mit einander. Sie gehen aus von einem /9/ allerdings einseitigen,
oft recht unbändigen, immer aber kräftigem Persönlichkeitsgefühle. Männlich