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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0351
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328 Ecce homo. Wie man wird, was man ist

bin 1, KSA 6, 366, 8-17) Trotz solcher Exaltationen hat man den Stil von EH
durch Lebendigkeit, Sinnlichkeit, Klarheit, Sachlichkeit und Sprachbewusst-
heit charakterisiert gefunden (Gauger 1984, 339-344).
Von Mai 1888 an war N.s Leben von rastloser Schaffenskraft geprägt (zum
Biographischen vgl. NK ÜK AC 1). Es entstanden Der Fall Wagner, Götzen-Däm-
merung, Der Antichrist, Ecce homo, Nietzsche contra Wagner und die Dionysos-
Dithyramben. Eine Keimzelle des späteren Werkes EH steht im Heft W II 9, 130-
106 (von hinten nach vorne beschrieben) und stammt aus der Zeit der Korrek-
tur an der Götzen-Dämmerung in Turin (zur Textkonstitution von EH im einzel-
nen KSA 14, 454-470, gerafft bei Hödl 2009, 503-508). In der KSA findet sich
dieser Text, aus dem N. später Elemente sowohl in GD Was ich den Alten
verdanke 2-5 als auch in EH Warum ich so weise bin übernahm, unter NL 1888,
KSA 13, 24[1], 615-632. Dieser Text trägt bereits den Obertitel „Ecce homo", der
Untertitel lautete jedoch noch bescheidener: „Oder: / warum ich Einiges mehr
weiss" (615, 1-3). Ob N. tatsächlich beabsichtigte, diese auf Mitte Oktober 1888
zu datierende EH-Urfassung insgesamt dem Textcorpus der Götzen-Dämmerung
einzuverleiben, wie es schließlich teilweise mit dem daraus erwachsenen Kapi-
tel GD Was ich den Alten verdanke geschah, ist nicht ganz klar, auch wenn
Montinari 1984, 72 resolut meint: „Ecce homo war zunächst als Anhang der
Götzen-Dämmerung gedacht worden". Im selben Nachlass-Kontext finden sich
einige Titelentwürfe, die deutlich machen, dass die thematische Ausrichtung
des entstehenden Textes in verschiedene Richtung zeigt: „Fridericus
Nietzsche / de vita sua. / Ins Deutsche übersetzt" (NL 1888, KSA 13, 24[4],
633) klingt nach einem konventionellen Autobiographie-Titel und soll durch
das Latein offensichtlich die „sehr ernsthafte Ambition nach römischem
Stil" (GD Was ich den Alten verdanke 1, KSA 6, 154, 20) unterstreichen. Auf
kritische Selbstbewertung zielt „Der Spiegel / Versuch / einer Selbstab-
schätzung" (NL 1888, KSA 13, 24[5], 633; das Spiegelmotiv wird schon in N.s
Autobiographie von 1858 benutzt, vgl. Hödl 2009, 166), während „Vademe-
cum. / Von der Vernunft meines Lebens" (NL 1888, KSA 13, 24[8], 634) eher
ein Handbuch der Selbstanspornung erwarten lässt. „Ecce homo / Aufzeich-
nungen / eines Vielfachen" (NL 1888, KSA 13, 24[3], 632) eröffnet schließlich
den Horizont auf eine Vielfalt von Selbstdeutungsmöglichkeiten, die der Viel-
falt des Werkes und der Persönlichkeit N.s entsprechen dürfte. Diese Vielfach-
heit ist freilich der später in EH artikulierten Intention, ein die Rezeption der
„Umwerthung aller Werthe" vorbereitendes und steuerndes Werk zu sein, nicht
unbedingt dienlich, weil Vielfachheit sich der Vereinheitlichung hin auf eine
einzige Wirkungsabsicht verweigert. Jedoch gibt der EH-Text letzter Hand
durchaus noch das Bild eines Vielfachen und gehorcht einer linearen Wir-
kungsabsicht damit nur bedingt (zu den EH-Titelentwürfen, von denen es noch
weitere gibt, siehe im einzelnen Hödl 2009, 508-524 sowie NK 255, 1).
 
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