Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0467
Lizenz: In Copyright
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
444 Ecce homo. Wie man wird, was man ist

einer Lebenshermeneutik. EH Warum ich so klug bin 10 nimmt jene sowohl in
GD als auch in AC artikulierte Kritik an den religiösen und metaphysischen
Fiktionen auf, um stattdessen volle Aufmerksamkeit für die physischen Realitä-
ten des Daseins einzufordern. In AC 47, KSA 6, 226 hat N. die antike Philologie
und die Medizin als Sachwalterinnen dieser Realitäten gegen das (paulinische)
Christentum hervorgehoben. N. sieht jetzt seine eigene Philosophie in dieser
Rolle. Zu Wagners (allerdings als dekadent empfundenem) Talent, das ganz
Kleine darzustellen, vgl. NW Wo ich bewundere, KSA 6, 418, 5-7 und dazu NK
KSA 6, 418, 7.
295, 33-296, 6 Das, was die Menschheit bisher ernsthaft erwogen hat, sind
nicht einmal Realitäten, blosse Einbildungen, strenger geredet, Lügen aus den
schlechten Instinkten kranker, im tiefsten Sinne schädlicher Naturen heraus —
alle die Begriffe „Gott", „Seele", „Tugend", „Sünde", „Jenseits", „Wahrheit",
„ewiges Leben"... Aber man hat die Grösse der menschlichen Natur, ihre „Gött-
lichkeit" in ihnen gesucht...] AC 14, KSA 6, 180, 29 f. beklagte, dass man die
„Göttlichkeit" des Menschen von seinem „Geist" abhängig gemacht habe: Wäh-
rend sich die Invektive dort allgemein gegen die dualistische Anthropologie
(und Metaphysik) richtete, ist in 295, 33-296, 6 die spezifisch christliche An-
thropologie die Zielscheibe. Von der „Göttlichkeit der menschlichen Natur" ist
im 19. Jahrhundert nicht nur im Kontext der Christologie und der klassizisti-
schen Humanitätsreligion im Gefolge Winckelmanns die Rede, sondern explizit
mit dieser Begrifflichkeit auch bei Thomas Carlyle. So spricht er 1822 in seinem
ersten Aufsatz über Goethes Faust davon, Goethe habe eine „freie Ansicht von
der Göttlichkeit der menschlichen Natur" gehabt (Flügel 1887, 206, vgl. 217). In
seinen nachgelassenen Spiritual Optics (1852) reflektierte Carlyle ,,[d]ie ,Gött-
lichkeit' der menschlichen Natur, die da nicht von Judäa, noch vom Olymp,
noch von Asgard oder dem Berge Meru stammt, sondern im Herzen jedes
Menschen ruht" (Flügel 1887, 102, vgl. Froude 1887-1888). N. hatte in Carlyle
demnach einen Konkurrenten bei einer nicht-transzendenten Begründung
menschlicher Göttlichkeit, was seine schroffen Abgrenzungsversuche z. B. in
GD Streifzüge eines Unzeitgemässen 12, KSA 6, 119 erklärt, namentlich Sätze
wie „Im Grunde ist Carlyle ein englischer Atheist, der seine Ehre darin sucht,
es nicht zu sein." (KSA 6, 119, 28 f.)
296, 12-19 Der deutsche Kaiser mit dem Papst paktirend, als ob nicht der Papst
der Repräsentant der Todfeindschaft gegen das Leben wäre!... Das, was heute
gebaut wird, steht in drei Jahren nicht mehr. — Wenn ich mich darnach messe,
was ich kann, nicht davon zu reden, was hinter mir drein kommt, ein Umsturz,
ein Aufbau ohne Gleichen, so habe ich mehr als irgend ein Sterblicher den
Anspruch auf das Wort Grösse.] Im Manuskript wurde diese Passage, die sich
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften