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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 6,2): Kommentar zu Nietzsches "Der Antichrist", "Ecce homo", "Dionysos-Dithyramben", "Nietzsche contra Wagner" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.70914#0497
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474 Ecce homo. Wie man wird, was man ist

wenn er zugleich zugibt, der „Naturzustand" würde den Frauen „ja bei weitem
den ersten Rang" einräumen, weshalb sie sich eigentlich „gegen Rechte über-
haupt" wehren würden (306, 15-17). Die ursprüngliche Fassung des Textes im
Druckmanuskript erweitert die Behandlung des Themas um eine entschei-
dende historische Dimension, indem sie eine „historisch" und „ethnologisch"
verbürgte Dominanz der Gynaikokratie, der Frauenherrschaft zu bedenken
gibt. Dieser bei N. sonst kaum vorkommende Hinweis auf anfänglich matriar-
chale Kulturformen — der wiederum stark an das Hauptwerk von N.s Basler
Kollegen Johann Jakob Bachofen: Das Mutterrecht (1861) erinnert — wird in
dieser ursprünglichen Fassung nicht politisch für Gegenwartsbelange, d. h. für
eine Polemik gegen gegenwärtige Frauenemanzipationsbestrebungen ausge-
beutet. Die erste Textgestalt ist psychologisch und historisch wesentlich diffe-
renzierter als die Fassung letzter Hand, scheint aber gerade wegen ihrer Kom-
plexität und Nicht-Reduzierbarkeit auf einfache Botschaft der verein-
deutigenden und vereinfachenden Letztkorrektur zum Opfer gefallen zu sein.
Diese erste Textgestalt hätte ein besseres Bild von N. als Psychologe vermittelt.
Für einen Psychologen mit historisch-genealogischem Tiefenblick, wie ihn die
erste Textgestalt vor Augen stellt, gäbe es wohl kaum mehr etwas „Ewig-Weibli-
ches". Vgl. auch JGB 232, KSA 5, 170-172.
305, 30 f. Psycholog des Ewig-Weiblichen] Mit dem „Ewig-Weiblichen" spielt N.
auf das Ende von Goethes Faust II an: „Das Ewig-Weibliche / zieht uns hinan."
(Vers 12110 f.) N. bemüht es öfter, gelegentlich auch in Entgegensetzung zu
einem „Ewig-Männlichen", vgl. JGB 236, KSA 5, 173.
306, 1-4 Zum Glück bin ich nicht Willens mich zerreissen zu lassen: das voll-
kommne Weib zerreisst, wenn es liebt... Ich kenne diese liebenswürdigen Mäna-
den...] Bekanntlich wurden in der griechischen Mythologie beispielsweise
Orpheus und Pentheus von den Mänaden, den Anhängerinnen des Dionysos
zerrissen (während Dionysos als Zagreus („der Zerstückelte") selbst von den
Titanen zerstückelt worden sein soll). In Heinrich von Kleists Trauerspiel Pen-
thesilea zerreißt die Titelheldin ihren geliebten Achilles.
306, 7-12 Das Weib ist unsäglich viel böser als der Mann, auch klüger; Güte
am Weibe ist schon eine Form der Entartung... Bei allen sogenannten „schö-
nen Seelen" giebt es einen physiologischen Übelstand auf dem Grunde, — ich
sage nicht Alles, ich würde sonst medi-cynisch werden.] KSA 14, 486 teilt aus
Mp XVI 5 folgende Variante mit: „Das Weib denkt nie daran, sich dem Mann
verwandt oder gar ,gleich' zu fühlen: nur das mißglückte Weiblein ,emanci-
pirt sich'... Das Weib ist mißglückt, wenn es keine Kinder hat. Die Tugend
zum Beispiel am Weibe, die sogenannte ,schöne Seele' beim Weibe ist nur ein
 
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