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Wilhelm Salomon:
neben- und nacheinander, als die für das gegenseitige Verständnis zweck-
mäßigste Form der Definitionen.
Da wir nämlich gewöhnlich bei den beobachteten Formunter-
schieden ähnlicher Organismen in der Paläontologie nicht mit Sicherheit
entscheiden können, ob es sich um Änderung in der Zeit oder um Ände-
rungen im Raume handelt und da wir nur bei großem Material die Varia-
tionsstatistik anwenden können, so brauchen wir eine Form der Definition,
die keine Mißverständnisse aufkommen läßt. Denn diese Definitionen
sind für uns zunächst meist nicht der Ausdruck natürlicher Gruppen,
sondern Symbole für die Verständigung. Es fragt sich, ob die üblichen
Definitionen dieser Voraussetzung entsprechen. Ich schlage z. B. irgend-
eine Familiendefinition in einem Lehrbuche der Paläontologie auf, etwa
die der Cardiiden (es könnte aber ebensogut eine andere sein). Da lesen
wir fast immer1), daß die Familie ausgezeichnet ist durch den Besitz
von zwei Haupt- und zwei Seitenzähnen, durch das Fehlen der Mantel-
bucht usw. Gehe ich aber die einzelnen Gattungen der Familie durch,
so finde ich Adacna ohne Zähne, mit Mantelbucht und mit noch anderen
von der Familiendefinition abweichenden Merkmalen. Die Verfasser
helfen sich in solchen Fällen durch Zusätze wie ,,meist“, „gewöhnlich“;
oder sie fügen zu, daß „sich brackische Formen etwas anders verhal-
ten“ usw.
Die für die Familie vorausgesagten Eigenschaften gelten also in sol-
chen Fällen gar nicht für alle ihre Glieder, sondern nur für einen Typus
der Familie, nämlich allenfalls die Gattung Cardium selbst. Greifen wir
aber nun eine Gattungsdefinition heraus, so ist diese in den meisten
Fällen auch nur auf eine bestimmte Art der Gattung, bei den Artdefini-
tionen auf ein bestimmtes Individuum in einem bestimmten Alters-
stadium zugeschnitten. Die anderen weichen mehr oder weniger von der
Definition ab. Auch hier gilt also die Definition gar nicht für die Gesamt-
heit der zu der betreffenden Gruppe gehörigen Formen, sondern im wesent-
lichen nur für einen Typus.
Genau dasselbe würde auch für die Definition der Ordnungen,
Klassen und noch höheren Gruppen in vielen Fällen zutreffen.
Unsere Definitionen beziehen sich also meist gar nicht auf Sammel-
begriffe, die die wirklich gemeinsamen Merkmale der zu einer größeren
Gruppe gehörigen Formen sammeln und allein zu der Definition ver-
wenden, sondern sie sind Typendefinitionen, die auf einen Typus
zugeschnitten sind und die anderen Formen nur insofern mitberücksich-
tigen, als sie dem Typus ähnlicher als einem fremden Typus sind. Diese
) Es gibt rühmliche Ausnahmen von der Regel.
Wilhelm Salomon:
neben- und nacheinander, als die für das gegenseitige Verständnis zweck-
mäßigste Form der Definitionen.
Da wir nämlich gewöhnlich bei den beobachteten Formunter-
schieden ähnlicher Organismen in der Paläontologie nicht mit Sicherheit
entscheiden können, ob es sich um Änderung in der Zeit oder um Ände-
rungen im Raume handelt und da wir nur bei großem Material die Varia-
tionsstatistik anwenden können, so brauchen wir eine Form der Definition,
die keine Mißverständnisse aufkommen läßt. Denn diese Definitionen
sind für uns zunächst meist nicht der Ausdruck natürlicher Gruppen,
sondern Symbole für die Verständigung. Es fragt sich, ob die üblichen
Definitionen dieser Voraussetzung entsprechen. Ich schlage z. B. irgend-
eine Familiendefinition in einem Lehrbuche der Paläontologie auf, etwa
die der Cardiiden (es könnte aber ebensogut eine andere sein). Da lesen
wir fast immer1), daß die Familie ausgezeichnet ist durch den Besitz
von zwei Haupt- und zwei Seitenzähnen, durch das Fehlen der Mantel-
bucht usw. Gehe ich aber die einzelnen Gattungen der Familie durch,
so finde ich Adacna ohne Zähne, mit Mantelbucht und mit noch anderen
von der Familiendefinition abweichenden Merkmalen. Die Verfasser
helfen sich in solchen Fällen durch Zusätze wie ,,meist“, „gewöhnlich“;
oder sie fügen zu, daß „sich brackische Formen etwas anders verhal-
ten“ usw.
Die für die Familie vorausgesagten Eigenschaften gelten also in sol-
chen Fällen gar nicht für alle ihre Glieder, sondern nur für einen Typus
der Familie, nämlich allenfalls die Gattung Cardium selbst. Greifen wir
aber nun eine Gattungsdefinition heraus, so ist diese in den meisten
Fällen auch nur auf eine bestimmte Art der Gattung, bei den Artdefini-
tionen auf ein bestimmtes Individuum in einem bestimmten Alters-
stadium zugeschnitten. Die anderen weichen mehr oder weniger von der
Definition ab. Auch hier gilt also die Definition gar nicht für die Gesamt-
heit der zu der betreffenden Gruppe gehörigen Formen, sondern im wesent-
lichen nur für einen Typus.
Genau dasselbe würde auch für die Definition der Ordnungen,
Klassen und noch höheren Gruppen in vielen Fällen zutreffen.
Unsere Definitionen beziehen sich also meist gar nicht auf Sammel-
begriffe, die die wirklich gemeinsamen Merkmale der zu einer größeren
Gruppe gehörigen Formen sammeln und allein zu der Definition ver-
wenden, sondern sie sind Typendefinitionen, die auf einen Typus
zugeschnitten sind und die anderen Formen nur insofern mitberücksich-
tigen, als sie dem Typus ähnlicher als einem fremden Typus sind. Diese
) Es gibt rühmliche Ausnahmen von der Regel.