Wurzeln der Medizin.
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auf die Zellen zu übertragen, sie sind das Hauptkennzeichen des Lebens,
daher der wichtigste Ausdruck der Lebenskraft. Das Leben zeigt sich in
der Reaktionsfähigkeit des Organismus auf äußere Reize, ja das ist der
Hauptunterschied zwischen Lebendigem und Leblosem. Die Erregbarkeit
wird ausgelöst durch Reize, ohne Reize gibt es kein Leben. Gesundheit
bedarf einer Summe von Reizen. Treten Reize zu stark oder zu schwach
auf, entsteht Krankheit.
Die Annahme einer Lebenskraft stützt sich auf die Erkenntnis,
daß sich bestimmte Lebensäußerungen bisher auf chemisch-physikalische
Gesetze nicht haben zurückführen lassen. Man sei daher gezwungen, in
den Organismen eine besondere Kraft anzunehmen, die die Lebens-
Vorgänge hervorbringe. Aber die Lebenskraft ist nur negativ definierbar;
deshalb hat sie zahllose Abwandlungen und Schattierungen erfahren und
jeder versteht etwas anderes darunter, je nachdem ihm der physikalisch-
chemisch unerklärbare Rest der Lebenserscheinungen groß oder klein
dünkt. So wird sie von Haller als metaphysisches Prinzip, von Blumen-
bach als Bildungstrieb, von Agassiz als Schöpfungsgedanke, von
Johannes Reinke als kosmische Intelligenz, von Driesch als Ente-
lechie aufgefaßt. Am meisten kann uns noch Johannes Müller befrie-
digen, der sie als zweckmäßig wirkende Natur- und Schöpfungskraft
faßt, die mit blinder Notwendigkeit und unbewußt doch an physikalische
und chemische Gesetze gebunden sei. Ob eine rein geistige Kraft oder
eine imponderabile Materie, können wir nicht entscheiden. Sie entzieht
sich dem Gesetz der Erhaltung der Kraft, das Johannes Müller nicht
mehr erlebte. Andere haben die Lebenskraft im Nervenäther, in der
Wärme, im Sauerstoff („Lebensluft“), in der Elektrizität, im Galvanis-
mus, Magnetismus, in der galvanischen Polarität, in Reizbarkeit und
Kontraktilität gesucht. Im alten Ägypten haben sie schon von der Lebens-
luft, in Babylon vom Lebenswasser gesprochen. Aber die Irritabilitäts-
lehre führt wieder zurück zum Nervensystem, zur Neuropathologie,
in der das Nervengewebe als einheitliche Grundlage alles Lebens und als
Ersatz der Lebenskraft verkündet wurde.
In der neuen französischen Philosophie (Bergson, Le Roy) erhebt
die Lebenskraft ihr Haupt als psychische Urtriebkraft, die zwischen
allen Lebewesen ein inneres Band schlinge und das Leben metaphysisch
erkläre, da die Physikochemie im Leben doch nur erkläre, was nicht das
Leben selbst sei, einerseits die Abfälle, andererseits das benützte Material.
Der Vitalismus sei im Grunde der Idealismus in der Biologie.
Von den dynamistischen Lehren stammen aber auch alle jene
Naturauffassungen ohne materiellen Untergrund, aber mit desto geheim-
nisvollerem Hintergrund und magischer Fernwirkung ab, wie Magne-
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auf die Zellen zu übertragen, sie sind das Hauptkennzeichen des Lebens,
daher der wichtigste Ausdruck der Lebenskraft. Das Leben zeigt sich in
der Reaktionsfähigkeit des Organismus auf äußere Reize, ja das ist der
Hauptunterschied zwischen Lebendigem und Leblosem. Die Erregbarkeit
wird ausgelöst durch Reize, ohne Reize gibt es kein Leben. Gesundheit
bedarf einer Summe von Reizen. Treten Reize zu stark oder zu schwach
auf, entsteht Krankheit.
Die Annahme einer Lebenskraft stützt sich auf die Erkenntnis,
daß sich bestimmte Lebensäußerungen bisher auf chemisch-physikalische
Gesetze nicht haben zurückführen lassen. Man sei daher gezwungen, in
den Organismen eine besondere Kraft anzunehmen, die die Lebens-
Vorgänge hervorbringe. Aber die Lebenskraft ist nur negativ definierbar;
deshalb hat sie zahllose Abwandlungen und Schattierungen erfahren und
jeder versteht etwas anderes darunter, je nachdem ihm der physikalisch-
chemisch unerklärbare Rest der Lebenserscheinungen groß oder klein
dünkt. So wird sie von Haller als metaphysisches Prinzip, von Blumen-
bach als Bildungstrieb, von Agassiz als Schöpfungsgedanke, von
Johannes Reinke als kosmische Intelligenz, von Driesch als Ente-
lechie aufgefaßt. Am meisten kann uns noch Johannes Müller befrie-
digen, der sie als zweckmäßig wirkende Natur- und Schöpfungskraft
faßt, die mit blinder Notwendigkeit und unbewußt doch an physikalische
und chemische Gesetze gebunden sei. Ob eine rein geistige Kraft oder
eine imponderabile Materie, können wir nicht entscheiden. Sie entzieht
sich dem Gesetz der Erhaltung der Kraft, das Johannes Müller nicht
mehr erlebte. Andere haben die Lebenskraft im Nervenäther, in der
Wärme, im Sauerstoff („Lebensluft“), in der Elektrizität, im Galvanis-
mus, Magnetismus, in der galvanischen Polarität, in Reizbarkeit und
Kontraktilität gesucht. Im alten Ägypten haben sie schon von der Lebens-
luft, in Babylon vom Lebenswasser gesprochen. Aber die Irritabilitäts-
lehre führt wieder zurück zum Nervensystem, zur Neuropathologie,
in der das Nervengewebe als einheitliche Grundlage alles Lebens und als
Ersatz der Lebenskraft verkündet wurde.
In der neuen französischen Philosophie (Bergson, Le Roy) erhebt
die Lebenskraft ihr Haupt als psychische Urtriebkraft, die zwischen
allen Lebewesen ein inneres Band schlinge und das Leben metaphysisch
erkläre, da die Physikochemie im Leben doch nur erkläre, was nicht das
Leben selbst sei, einerseits die Abfälle, andererseits das benützte Material.
Der Vitalismus sei im Grunde der Idealismus in der Biologie.
Von den dynamistischen Lehren stammen aber auch alle jene
Naturauffassungen ohne materiellen Untergrund, aber mit desto geheim-
nisvollerem Hintergrund und magischer Fernwirkung ab, wie Magne-