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Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1931, 7. Abhandlung): Mitteilung zur Statik und Dynamik der deutschen Stammesphysiognomien, 3 — Berlin, Leipzig, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.43632#0005
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Statik und Dynamik der deutschen Stammesphysiognomien

Ö

Messungen kommen nicht — „noch“ nicht? — in Frage; Ver-
suche dazu haben zu nichts geführt, eher vom Kernpunkt unserer
Fragestellung weggeführt. Für unsere Deskription handelt es sich
darum, die natürliche, ungekünstelte Dynamik des Mienenspiels
möglichst häufig und sorgfältig zu beobachten.
Der Beobachter wohnt dem Unterricht bei; tunlichst in ver-
schiedenen Fächern (denn die Inanspruchnahme oder Anregung
bestimmter mimischer Qualitäten und Bezirke ist in den Fächern
recht verschieden, von fast ausschließlicher Aufmerke- und Denk-
mimik in der Mathematik bis zur ungezwungenen Plauder- und Lach-
mimik in literarischen Stunden — verschieden übrigens auch je
nach dem „Ton“ in der Klasse, den der Lehrer beliebt oder zuläßt).
Alle vorpuberen Klassen haben sich als unergiebig, als mimisch noch
sehr „wesenlos“ erwiesen. Verarbeitet wurden also die Beobach-
tungen an Jungmenschenmaterial vom 16. Lebensjahre aufwärts.
Der Beobachter tut oft gut daran, wiederholt in derselben
Klasse zu weilen, denn erst dann entfallen die anfänglichen Neugierde-
regungen der Zöglinge; die Anwesenheit eines Fremden im Unterricht
führt bei reifenden Mädchen anfangs manchmal zu theatralischem
Gebaren, bei reifenden Knaben umgekehrt zu Hemmungen. Darum
ist auch die Anwesenheit während der ganzen Stunde notwendig,
erst im zweiten Teil wird solch ein Gast der Klasse gleichgültiger
und daher in bezug auf ihre Mimik indifferent. Lektionen, während
deren die Gesichter meist im Buch stecken, wie fremdsprachliche
Lektüre, sind natürlich ungünstig: lebhaftes Frage- und Antwort-
spiel bietet die ergiebigsten Einblicke, Geschichte, Deutsch, Religion
waren daher überall die immer wieder günstigsten Fächer. Noch
so lebendige fremdsprachliche Konversation trübt häufig die Beob-
achtung durch das Auftreten gekünstelter Mundstellungen aus
phonetischen Motiven. Als Gegenstück und zur Aussonderung bietet
die reine Denkmimik, z. B. im mathematischen Unterricht oder
beim Präparieren schwieriger fremdsprachlicher Autorenpartien,
manches Wertvolle.
Alle Schulleitungen und Lehrkräfte förderten die Beobach-
tungen durch Herstellung eines Klassenspiegels, der die Sitzordnung
aufzeichnet und hinter jedem Namen den Geburtsort, die Wohn-
dauer am Schulorte, die stämmische Herkunft der Eltern, manch-
mal auch der Großeltern enthält. Öfters wurde dieser Klassenspiegel
erst nach dem Klassenbesuch durchgesehen, und es zeigte sich dabei,
daß in einer ansehnlichen Zahl von Fällen Zöglinge aus Ostdeutschland,
Österreich, Thüringen, Schwaben, noch ehe sie geantwortet und sich
dabei etwa mundartlich zu erkennen gegeben hatten, auf den ersten
Blick als „unrheinisch“ verzeichnet worden waren.
Unter fördernder Genehmigung der preußischen Unterrichts-
verwaltung werden diese Schuluntersuchungen weitergeführt. Dem
unvergleichlichen Entgegenkommen gerade der Schulleitungen und
Lehrerschaften im rheinischen Beobachtungsgebiet, welche unter
lebendigster Anteilnahme auf die liebenswürdigste Art jede Schwie-
 
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