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Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1931, 7. Abhandlung): Mitteilung zur Statik und Dynamik der deutschen Stammesphysiognomien, 3 — Berlin, Leipzig, 1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.43632#0007
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Statik und Dynamik der deutschen Stammesphysiognomien

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kinnab- und kinnseitwärts straffer gespannt, eine solche Kopf-
haltung gleicht katasarkale, die Mundschnutung gleicht parasarkale
Ansammlungen, selbst wo sie an sich da sind, aus, läßt sie minder
sichtbar werden, verhütet sie möglicherweise schon; sie unterstützt
mindestens die Herausmodellierung einer ovalen bis spitzen Kinn-
partie.
Alles bisher beschriebene Dynamische ist an jedem Menschen
experimentell demonstrierbar, für jeden an sich selber vor dem
Spiegel. Viel schwieriger demonstrierbar ist das dritte rheinische
Mienenmerkmal:
3. Stirnhochfaltung mit Brauenhochstand bei Lidsenkung: ebenso
charakteristisch in der Beobachtung, wie schwer nachahmbar für
den nichtrheinischen Menschen. Ich habe sie in diesem Beieinander
sonst nirgends angetroffen; nachdem sie mir in den Schulklassen
aufgegangen war, hat sie sich mir auch in der „Zählung am Wege“
als ein lange gesuchtes kardinales Physiognomikum des rheinischen
Ausdrucks offenbart. Den meisten Menschen gelingt es nur dann,
die Stirn in 3—5 wagerechte Falten zu legen (sie horizontal zu
„runzeln“), wenn sie gleichzeitig die Augenlider hochziehen, also
die Augen aufreißen. Im rheinischen Mienenspiel aber bleiben oder
werden die Lider gesenkt, fast wie zum Lesen, und werden gleichzeitig
die Brauen hochgezogen wodurch die Stirn sich horizontal faltet.
Die psychologische Wirkung — „Ausdruckswirkung“ — geht zum
Überlegenen, ja Überheblichen hin, spielt ins Selbstüberzeugte,
Blasierte: das horizontale brauenhebende Stirnfalten ist ja als
Intellektualmimik ein wesentliches Ausdruckselement des Zweifels,
gesenkte Lider aber sind als Emotionalmimik ein wesentliches Aus-
druckselement der Gelassenheit.
Der Aus- (und Ein-)druck des leicht erhobenen Kopfes wird
durch die lidersenkende und brauenhebende Stirnhochfaltung
physiognomisch noch unterstrichen.

Hermann Aubin hat neuerdings die Meinung geäußert, ob
nicht aus dem fränkischen, dessen heutige Einheitlichkeit fragwürdig
sei, sich ein rheinischer Stamm herausdifferenziere. Diese Hypothese
ist höchst beachtenswert. Sie wird durch die eben dargestellten
physiognomischen Tatbestände überraschend gestützt. Während
die schnutige Mundstellung schlechthin, wenn auch in mannig-
fachen Stufungen ihrer Augenfälligkeit, und samt ihrer unmittel-
baren Wirkung, der Jochigkeit des Gesichts, allgemein fränkisch
ist, habe ich die Dynamik der Lidsenkung mit Brauenhochzug
im ostfränkischen Stammesgebiet nicht beobachten können; sie
 
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