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Weizsäcker, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1934, 4. Abhandlung): Wege psychophysischer Forschung: Festrede bei der Stiftungsfeier der Akademie am 3. Juni 1934 — Heidelberg, 1934

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https://doi.org/10.11588/diglit.43676#0004
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Viktor v. Weizsäcker

Auge und Ohr, Sehen und Hören sind trefflich erforscht. Aber
eine vergleichbare Analyse der handwerklichen Bewegung, des
Vollzugs vorgestellter Absicht in äußerer Verwirklichung besitzen
wir kaum. Und wie bedeutsam wäre die für die Eignungsprüfung
für Berufe, für die Feststellung der Leistungsfähigkeit von ge-
sunden, nervösen oder kranken Personen. — Dies alles ist
Ausdruck jenes neuzeitlichen Überwiegens des Sensualismus in
der Wissenschaft, des wissenschaftlichen Erkennens über wissen-
schaftliches Handeln, wobei des letzteren Möglichkeit nicht selten
von gelehrter Romantik vernachlässigt oder bestritten wird. Man
darf an dieser Stelle daran erinnern, wie sehr Umfang und
Großartigkeit der „Kritik der reinen Vernunft“ über der Einseitig-
keit der „Kritik der praktischen Vernunft“ steht. Aber man muß
auch den Hinweis machen, wie allgemein in unseren medizinischen
Werken bis heute der therapeutische Teil auf einer entscheidend
niedrigeren Stufe steht als der theoretische.
Indes, wir dürfen es nicht nur tadeln, daß gerade die psy-
chophysische Sinneslehre meist unbekümmert um praktische
Erfolge oder Nützlichkeit vor sich hinlebte. Gerade dadurch führt
sie an ihrem Teile, in ihrer vollen Hingabe auf dem kürzesten
Wege der inneren Konsequenz zu jener Wandlung eines Welt-
bildes hin, welche die Geschichte von uns fordert.
Während Goethe ein unendlich Lebendiges der Natur im Ur-
phänomen wie in einer Art höherer Erfahrung anzuschauen ver-
suchte, haben seit Joh. Müller, dem eigentlichen Dämon der
neuen Richtung, die Sinnesphysiologen eine elementare Entsprechung
causalgesetzlicher Art zwischen Reiz, Erregung und Empfindung
ihren Experimenten zu entnehmen versucht. Doch nicht der Reiz,
sondern die spezifische Erregung des Sinnnesnerven selbst sollte
nach ihm der Grund der Qualitäten sein. Dies sein Gesetz der
spezifischen Sinnesenergien, welches uns mit tiefem Mißtrauen
gegen unsere Sinne erfüllen mußte, welches aber Helmholtz an
Bedeutung der Gravitation Newtons gleichzusetzen geneigt war,
hat die lange Forscherreihe zu Fechner, Hering und v. Kries, dem letz-
ten wahrhaften Sinnesphysiologen, bestimmt. Denn in ihm lag die
allgemeinere Idee elementargesetzlicher Entsprechung von Reiz
und Empfindung und analytischer Erklärung des Qualitativ-Viel-
fachen aus dem Quantitativ-Einfachen, des Ganzen aus den Teilen,
des Komplexen aus dem Elementaren. Wir nennen Joh. v. Kries
den letzten, weil er als letzter sich dieser Idee auch bewußt,
 
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