Wege psychophysischer Forschung
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findungen nämlich sind in diesen Gesamtakten nicht teil- und
gliedhaft eingefügt, sondern sie sind signalartig oder repräsentativ
zu ihnen gestellt. Das Wesen dieser Repräsentanz ist also nicht,
elementhaft eingereiht, sondern zu einer ganzen Struktur zu-
geordnet zu sein. Ein einziger Blick genügt dem Geübten, um
die Situation eines Schachspiels, um die Spieler eines Wettkampfes
zu übersehen, und den richtigen Entschluß vor aller Analyse
auszulösen. Die Repräsentanz ist daher auch nicht teilbar oder
quantifizierbar wie Kräfte, Strecken von Raum und Zeit, sondern
sie ist zu bestimmen nach dem Inhalte, den sie repräsentiert:
sie wäre eben „pars pro toto“.
Der Gegensatzsinn von elementarer und repräsentativer
Funktion tritt in das entscheidende Licht, wenn man diejenigen
Fälle untersucht, welche lehren, daß die Zuordnung einer re-
präsentativen Empfindung zu einem organischen Komplex von
Vorgängen nicht starr, sondern beweglich ist. Dieselbe Empfindung
kann verschiedene Konstellationen des Organgeschehens repräsen-
tieren: es gibt also einen Bedeutungswandel der Empfindung.
Dasselbe Wasser, welches der vorgewärmten Hand kalt vorkam,
erscheint der abgekühlten warm. Derselbe dunkle Fleck kann
dem Auge einen Schatten, eine Vertiefung, einen grau gefärbten
Gegenstand bedeuten. Die Gesetze der Perspektive, der soge-
nannten Inversion, des Kontrastes, der Sinnestäuschungen — sie
alle zeigen nicht nur, daß derselbe sinnliche Eindruck sehr
verschiedenes repräsentieren kann — nein auch umgekehrt, daß
wir nur durch diesen Bedeutungswandel die Fähigkeit besitzen,
einen Gegenstand trotz verschiedenster Stellung, Beleuchtung,
Verhaltungsweise immer als denselben wiederzuerkennen. Diese
Konstanz der Sehdinge, wie Hering sie nannte, fordert also
geradezu den Bedeutungswandel, und wenn die Empfindung
als Zeichen pars pro toto ist, so gilt umgekehrt für die Dinge,
daß sie in vielerlei Gestalt erscheinen, gleichsam in beliebiger
Verkleidung in der Wahrnehmung dieselben bleiben: omnia
ubique, alles kann auch überall sein.
Die psychophysische Forschung hat nicht die Unendlichkeit,
sondern die empririschen Grenzen solcher Prinzipien zu bestimmen.
Überall fand sie, wie mit der Überschreitung gewisser Schwellen
des Reizes eine Qualität in eine andere, eine Gestalt in eine
andere umschlägt. Besonders ziehen daher die Aufmerksamkeit
jene Ereignisse an, in denen der Umschlag erfolgt, ohne daß der
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findungen nämlich sind in diesen Gesamtakten nicht teil- und
gliedhaft eingefügt, sondern sie sind signalartig oder repräsentativ
zu ihnen gestellt. Das Wesen dieser Repräsentanz ist also nicht,
elementhaft eingereiht, sondern zu einer ganzen Struktur zu-
geordnet zu sein. Ein einziger Blick genügt dem Geübten, um
die Situation eines Schachspiels, um die Spieler eines Wettkampfes
zu übersehen, und den richtigen Entschluß vor aller Analyse
auszulösen. Die Repräsentanz ist daher auch nicht teilbar oder
quantifizierbar wie Kräfte, Strecken von Raum und Zeit, sondern
sie ist zu bestimmen nach dem Inhalte, den sie repräsentiert:
sie wäre eben „pars pro toto“.
Der Gegensatzsinn von elementarer und repräsentativer
Funktion tritt in das entscheidende Licht, wenn man diejenigen
Fälle untersucht, welche lehren, daß die Zuordnung einer re-
präsentativen Empfindung zu einem organischen Komplex von
Vorgängen nicht starr, sondern beweglich ist. Dieselbe Empfindung
kann verschiedene Konstellationen des Organgeschehens repräsen-
tieren: es gibt also einen Bedeutungswandel der Empfindung.
Dasselbe Wasser, welches der vorgewärmten Hand kalt vorkam,
erscheint der abgekühlten warm. Derselbe dunkle Fleck kann
dem Auge einen Schatten, eine Vertiefung, einen grau gefärbten
Gegenstand bedeuten. Die Gesetze der Perspektive, der soge-
nannten Inversion, des Kontrastes, der Sinnestäuschungen — sie
alle zeigen nicht nur, daß derselbe sinnliche Eindruck sehr
verschiedenes repräsentieren kann — nein auch umgekehrt, daß
wir nur durch diesen Bedeutungswandel die Fähigkeit besitzen,
einen Gegenstand trotz verschiedenster Stellung, Beleuchtung,
Verhaltungsweise immer als denselben wiederzuerkennen. Diese
Konstanz der Sehdinge, wie Hering sie nannte, fordert also
geradezu den Bedeutungswandel, und wenn die Empfindung
als Zeichen pars pro toto ist, so gilt umgekehrt für die Dinge,
daß sie in vielerlei Gestalt erscheinen, gleichsam in beliebiger
Verkleidung in der Wahrnehmung dieselben bleiben: omnia
ubique, alles kann auch überall sein.
Die psychophysische Forschung hat nicht die Unendlichkeit,
sondern die empririschen Grenzen solcher Prinzipien zu bestimmen.
Überall fand sie, wie mit der Überschreitung gewisser Schwellen
des Reizes eine Qualität in eine andere, eine Gestalt in eine
andere umschlägt. Besonders ziehen daher die Aufmerksamkeit
jene Ereignisse an, in denen der Umschlag erfolgt, ohne daß der