Die Ernährungsphysiologie des 17. Jahrhunderts
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sehr enger Zusammenhang, und es spricht alles dafür, daß der
humanistisch gebildete Arzt, der sonst Kommentare zur ars parva
des Galen und zum Kanon des Avicenna geschrieben hat, diese
Apparate von Galilei übernahm, der ja auch sonst an technisch-
konstruktiven Fragen lebhaft interessiert war. Die umgekehrte
Beziehung scheint mehr als unwahrscheinlich.
Nun ist es interessant zu sehen, daß tatsächlich nur die Waage
und nichts sonst von Galilei in jene medicina statica einging,
obwohl Galilei in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts mit
größtem Erfolg Vorlesungen über Mechanik in Padua hielt, in
einer Zeit also, in der Sanctorio seine Schrift verfaßte.
Weder die Bewegungslehre, die ja auch bald in der Medizin
eine so große Rolle spielen sollte, noch (was wichtiger erscheint)
die Philosophie Galileis, etwa seine Lehre von der Subjektivität
der Sinneswahrnehmungen, von den primären und sekundären
Qualitäten, wurde übernommen.
Es begegnen sich hier in Sanctorius also zwei recht ver-
schiedene Welten: die antike Medizin wohl wesentlich in arabischer
Überlieferung und eine physikalische Methode, die jedenfalls mit
einem (wenn auch nicht immer erfolgreichen) Bemühen um Prä-
zision angewandt wurde. Das Ergebnis dieser Begegnung ist
bemerkenswert.
Die erste Beobachtung schon scheint Sanctorio überraschend:
Wenn er nämlich am Abend nach seinem Nachtessen auf seiner
Waage Platz genommen hatte, fand er sich am Morgen wesentlich
leichter vor. Dieser Gewichtsverlust mußte unmerklich geschehen
sein. Offenbar haben Haut und Lunge irgendwelche Körperbe-
standteile entweichen lassen. Die Perspiratio insensibilis, wie wir
diese Erscheinung heute nennen, war damit zum ersten Mal
messend nachgewiesen. Die Nahrung durchläuft nach Sanctorio
- er ist darin ein treuer Schüler Galens — im Organismus eine
dreifache Kochung. Im Magen und Darm, dann in der Leber und
schließlich in den Organen wird sie verändert und von den
Schlacken gesäubert. Und das Produkt der dritten Kochung —
wir könnten vielleicht sagen: der Gewebsatmung — ist dann
jene unmerkliche Ausscheidung. Sie ist damit auch ein Maß für
den Bedarf an Nahrung, die ja vollständig jene dritte Kochung
durchmachen muß. Für den Mediziner ist deutlich, daß sich hier
sehr viel Richtiges mit einigen grundlegenden Irrtümern zusammen-
findet.
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sehr enger Zusammenhang, und es spricht alles dafür, daß der
humanistisch gebildete Arzt, der sonst Kommentare zur ars parva
des Galen und zum Kanon des Avicenna geschrieben hat, diese
Apparate von Galilei übernahm, der ja auch sonst an technisch-
konstruktiven Fragen lebhaft interessiert war. Die umgekehrte
Beziehung scheint mehr als unwahrscheinlich.
Nun ist es interessant zu sehen, daß tatsächlich nur die Waage
und nichts sonst von Galilei in jene medicina statica einging,
obwohl Galilei in den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts mit
größtem Erfolg Vorlesungen über Mechanik in Padua hielt, in
einer Zeit also, in der Sanctorio seine Schrift verfaßte.
Weder die Bewegungslehre, die ja auch bald in der Medizin
eine so große Rolle spielen sollte, noch (was wichtiger erscheint)
die Philosophie Galileis, etwa seine Lehre von der Subjektivität
der Sinneswahrnehmungen, von den primären und sekundären
Qualitäten, wurde übernommen.
Es begegnen sich hier in Sanctorius also zwei recht ver-
schiedene Welten: die antike Medizin wohl wesentlich in arabischer
Überlieferung und eine physikalische Methode, die jedenfalls mit
einem (wenn auch nicht immer erfolgreichen) Bemühen um Prä-
zision angewandt wurde. Das Ergebnis dieser Begegnung ist
bemerkenswert.
Die erste Beobachtung schon scheint Sanctorio überraschend:
Wenn er nämlich am Abend nach seinem Nachtessen auf seiner
Waage Platz genommen hatte, fand er sich am Morgen wesentlich
leichter vor. Dieser Gewichtsverlust mußte unmerklich geschehen
sein. Offenbar haben Haut und Lunge irgendwelche Körperbe-
standteile entweichen lassen. Die Perspiratio insensibilis, wie wir
diese Erscheinung heute nennen, war damit zum ersten Mal
messend nachgewiesen. Die Nahrung durchläuft nach Sanctorio
- er ist darin ein treuer Schüler Galens — im Organismus eine
dreifache Kochung. Im Magen und Darm, dann in der Leber und
schließlich in den Organen wird sie verändert und von den
Schlacken gesäubert. Und das Produkt der dritten Kochung —
wir könnten vielleicht sagen: der Gewebsatmung — ist dann
jene unmerkliche Ausscheidung. Sie ist damit auch ein Maß für
den Bedarf an Nahrung, die ja vollständig jene dritte Kochung
durchmachen muß. Für den Mediziner ist deutlich, daß sich hier
sehr viel Richtiges mit einigen grundlegenden Irrtümern zusammen-
findet.