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Kurt Goerttler: Die
seiner Teile. — Diese Einsicht verdanken wir in allererster
Linie der entwicklungsphysiologischen Wissenschaft, die uns hinter
dem Entwicklungsmosaik der Teile wieder den Plan des Ganzen
sehen und erkennen lehrte.
Entgegen den Thesen der Zellenlehre, daß letzten Endes alle
Tätigkeit des Lebens von den Zellen ausgeht, und daß die Teile
und Glieder eines Organismus es sind, welche seine Ganzheit
ausmachen, vertritt die Biologie heute mit einer gewissen Leiden-
schaft wieder mehr den gegenteiligen Standpunkt, daß nämlich
das Ganze seine Teile bestimmt. Wenn auch eine derartig alter-
native Fassung des Problems sicherlich falsch ist, da es ohne
das Ganze weder einen Teil, noch ohne Teil ein Ganzes geben
kann, so ist doch eines sicher, daß nämlich die Ganzheitsbetrach-
tung biologischer Probleme im Banne der Zellentheorie bisher so
gut wie ganz vernachlässigt worden ist. Das weiß niemand besser
als der Arzt, dessen ganzes wissenschaftliches Rüstzeug ja dazu
dient, Krankheiten zu lokalisieren und zu behandeln, anstelle er-
krankter Menschen. Als ob es einen kranken Magen oder einen
kranken Blinddarm gäbe ohne einen erkrankten Menschen.
In der Wissenschaft kann sich diese Erkenntnis nur des-
halb sehr langsam Bahn brechen, weil es für ganzheitliche Unter-
suchungen keine erlernbare Methodik gibt, oder weil umgekehrt
nur die Analyse in jedem Falle Methode hat. Das läßt sich wohl
nirgends so klar demonstrieren wie im Falle der experimentellen
Zellen- und Gewebelehre, die ganz allgemein auch heute noch, metho-
disch befangen, immer so verfährt, als ob das Leben eines Organis-
mus letzten Endes doch aus vielen einzelnen lebendigen Gescheh-
nissen in den Zellen und Geweben des Körpers zusammengesetzt
sei, sodaß man es durch Isolieren der Einzelelemente auch analy-
sieren könnte. — Die alte Grundvoraussetzung Schwanns ist
ebenso die Grundlage der Zellularpathologie Virchows, wie im
allgemeinen auch der heute mit modernsten Methoden arbeiten-
den Zellen- und Gewebeforschung geblieben.
Grundsätzlich verfügt danach jede Zelle über ein Eigenleben,
mit dem sie sich zwar durch Anpassung in die Gemeinschaft
des Ganzen einfügt, das sie aber auch losgelöst von ihr weiter-
führen könne. Dort, wo das geschähe, z. B. unterm Deckglas,
würden wir dann erst die gewissermaßen von den Schlacken der
„äußeren Faktoren“ gereinigten Grunderscheinungen des Lebens
der Zellen kennen lernen, die während ihres Berufslebens inner-
Kurt Goerttler: Die
seiner Teile. — Diese Einsicht verdanken wir in allererster
Linie der entwicklungsphysiologischen Wissenschaft, die uns hinter
dem Entwicklungsmosaik der Teile wieder den Plan des Ganzen
sehen und erkennen lehrte.
Entgegen den Thesen der Zellenlehre, daß letzten Endes alle
Tätigkeit des Lebens von den Zellen ausgeht, und daß die Teile
und Glieder eines Organismus es sind, welche seine Ganzheit
ausmachen, vertritt die Biologie heute mit einer gewissen Leiden-
schaft wieder mehr den gegenteiligen Standpunkt, daß nämlich
das Ganze seine Teile bestimmt. Wenn auch eine derartig alter-
native Fassung des Problems sicherlich falsch ist, da es ohne
das Ganze weder einen Teil, noch ohne Teil ein Ganzes geben
kann, so ist doch eines sicher, daß nämlich die Ganzheitsbetrach-
tung biologischer Probleme im Banne der Zellentheorie bisher so
gut wie ganz vernachlässigt worden ist. Das weiß niemand besser
als der Arzt, dessen ganzes wissenschaftliches Rüstzeug ja dazu
dient, Krankheiten zu lokalisieren und zu behandeln, anstelle er-
krankter Menschen. Als ob es einen kranken Magen oder einen
kranken Blinddarm gäbe ohne einen erkrankten Menschen.
In der Wissenschaft kann sich diese Erkenntnis nur des-
halb sehr langsam Bahn brechen, weil es für ganzheitliche Unter-
suchungen keine erlernbare Methodik gibt, oder weil umgekehrt
nur die Analyse in jedem Falle Methode hat. Das läßt sich wohl
nirgends so klar demonstrieren wie im Falle der experimentellen
Zellen- und Gewebelehre, die ganz allgemein auch heute noch, metho-
disch befangen, immer so verfährt, als ob das Leben eines Organis-
mus letzten Endes doch aus vielen einzelnen lebendigen Gescheh-
nissen in den Zellen und Geweben des Körpers zusammengesetzt
sei, sodaß man es durch Isolieren der Einzelelemente auch analy-
sieren könnte. — Die alte Grundvoraussetzung Schwanns ist
ebenso die Grundlage der Zellularpathologie Virchows, wie im
allgemeinen auch der heute mit modernsten Methoden arbeiten-
den Zellen- und Gewebeforschung geblieben.
Grundsätzlich verfügt danach jede Zelle über ein Eigenleben,
mit dem sie sich zwar durch Anpassung in die Gemeinschaft
des Ganzen einfügt, das sie aber auch losgelöst von ihr weiter-
führen könne. Dort, wo das geschähe, z. B. unterm Deckglas,
würden wir dann erst die gewissermaßen von den Schlacken der
„äußeren Faktoren“ gereinigten Grunderscheinungen des Lebens
der Zellen kennen lernen, die während ihres Berufslebens inner-