Differenzierungsbreite tierischer Gewebe
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halb des Körpers gleichsam versteckt blieben. Die im Laufe der
letzten 20 Jahre aus der Entwicklungsphysiologie gewonnenen Er-
kenntnisse haben, wie man sieht, auf diese Vorstellungen keinen
wesentlichen Einfluß gehabt.
Denn wir wissen heute, daß die Erscheinungsformen der Zellen
und Teile eines Organismus von vornherein keineswegs schicksal-
haft und unabwendbar sind, sondern epigenetisch immer erst ge-
staltet werden. Es gibt für jeden Teil nebeinander immer viele
verschiedene, aber völlig gleichwertige Entwicklungsmöglichkeiten.
Ist jedoch die Determination einmal erfolgt und damit der Spruch
des Schicksals gefällt, dann ist er endgültig. Dann wird mit jedem
Determinationsschritt der Lebenskreis im Einzelnen immer kleiner.
Was schließlich an Fähigkeiten übrigbleibt, ist in jedem Falle nur
durch das Experiment zu erschließen. Aber sicherlich sind es an-
lagemäßig, endogen vorbestimmte Möglichkeiten, die von außen
her wohl unspezifisch angeregt, gefördert, gehemmt oder ver-
hindert, aber niemals gestaltet- oder abgeändert werden können.
Ein Eigenleben, welches die Zellen weiterführen könnten, wäh-
rend das Berufsleben sie von außen her gewissermaßen nur ab-
stempelt, gibt es nicht. Jeder Lebenslage und jedem Milieu
entspricht eine bereits vorhandene Verhaltensmöglichkeit, aber
nichts berechtigt uns zu der Vorstellung, daß erst außerhalb des
Organismus in künstlichen Medien sich das Eigenleben einer Zelle
entfalten könnte, während sie innerhalb ihres natürlichen Lebens-
raumes an dessen Entfaltung gehindert würde.
Die anlagemäßig vorbestimmte Verhaltensweise ist für die
Zellen innerhalb des Organismus nur eine andere, als innerhalb
einer Gewebekultur in vitro, und die erstere entspricht ihrem nor-
malen biologischen Lebenskreis, während die letztere sie in eine
völlig fremde Welt hineinstellt, hart an der Grenze zwischen
Leben und Tod, d. h. wahrscheinlich an der Grenze ihrer An-
passungsfähigkeit überhaupt.
Dabei aber erhebt sich natürlich die Frage, inwieweit ein
solcher Spezial- und Grenzfall innerhalb der Gesamtbreite des
lebendigen Könnens unser Interesse wirklich beanspruchen kann.
Heute, nach jahrzehntelangen Bemühungen und Erfahrungen auf
diesem Gebiete, darf man, glaube ich, wohl sagen, daß alle diese
Experimente unsere Erkenntnis zwar beträchtlich erweitert haben,
aber eigentlich nur mehr nach der negativen als zur positiven
Seite des Lebens hin. Denn sie haben uns im allgemeinen immer
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halb des Körpers gleichsam versteckt blieben. Die im Laufe der
letzten 20 Jahre aus der Entwicklungsphysiologie gewonnenen Er-
kenntnisse haben, wie man sieht, auf diese Vorstellungen keinen
wesentlichen Einfluß gehabt.
Denn wir wissen heute, daß die Erscheinungsformen der Zellen
und Teile eines Organismus von vornherein keineswegs schicksal-
haft und unabwendbar sind, sondern epigenetisch immer erst ge-
staltet werden. Es gibt für jeden Teil nebeinander immer viele
verschiedene, aber völlig gleichwertige Entwicklungsmöglichkeiten.
Ist jedoch die Determination einmal erfolgt und damit der Spruch
des Schicksals gefällt, dann ist er endgültig. Dann wird mit jedem
Determinationsschritt der Lebenskreis im Einzelnen immer kleiner.
Was schließlich an Fähigkeiten übrigbleibt, ist in jedem Falle nur
durch das Experiment zu erschließen. Aber sicherlich sind es an-
lagemäßig, endogen vorbestimmte Möglichkeiten, die von außen
her wohl unspezifisch angeregt, gefördert, gehemmt oder ver-
hindert, aber niemals gestaltet- oder abgeändert werden können.
Ein Eigenleben, welches die Zellen weiterführen könnten, wäh-
rend das Berufsleben sie von außen her gewissermaßen nur ab-
stempelt, gibt es nicht. Jeder Lebenslage und jedem Milieu
entspricht eine bereits vorhandene Verhaltensmöglichkeit, aber
nichts berechtigt uns zu der Vorstellung, daß erst außerhalb des
Organismus in künstlichen Medien sich das Eigenleben einer Zelle
entfalten könnte, während sie innerhalb ihres natürlichen Lebens-
raumes an dessen Entfaltung gehindert würde.
Die anlagemäßig vorbestimmte Verhaltensweise ist für die
Zellen innerhalb des Organismus nur eine andere, als innerhalb
einer Gewebekultur in vitro, und die erstere entspricht ihrem nor-
malen biologischen Lebenskreis, während die letztere sie in eine
völlig fremde Welt hineinstellt, hart an der Grenze zwischen
Leben und Tod, d. h. wahrscheinlich an der Grenze ihrer An-
passungsfähigkeit überhaupt.
Dabei aber erhebt sich natürlich die Frage, inwieweit ein
solcher Spezial- und Grenzfall innerhalb der Gesamtbreite des
lebendigen Könnens unser Interesse wirklich beanspruchen kann.
Heute, nach jahrzehntelangen Bemühungen und Erfahrungen auf
diesem Gebiete, darf man, glaube ich, wohl sagen, daß alle diese
Experimente unsere Erkenntnis zwar beträchtlich erweitert haben,
aber eigentlich nur mehr nach der negativen als zur positiven
Seite des Lebens hin. Denn sie haben uns im allgemeinen immer