Differenzierungsbreite tierischer Gewebe
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Es entstanden u. a. ganz neue Faserstrukturen, welche die
größte Ähnlichkeit mit der Herzmuskulatur hatten (Abb. 2, Taf. 1).
Sie ließen sich ohne weiteres aus der komplizierten Art ihrer Bean-
spruchung in diesem Experiment erklären — welche normaler-
weise nur bei der quergestreiften Herzmuskulatur vorkommt, die
während der Cystole ebenfalls unter einer flächenhaften Belastung
steht. (Im übrigen siehe die oben erwähnte Veröffentlichung.)
Aber nur der lebende Organismus kann sie offenbar erzeugen.
Der eingeengte Lebensraum einer Zellkultur in vitro kann diese
in den muskelbildenden Zellen schlummernde Fähigkeit nicht her-
vorlocken.
Das wird meiner Meinung nach besonders eindeutig auch
durch die weitere Tatsache bewiesen, daß alle gedrehten Muskel-
fasern infolge dieses Eingriffs elastische Sehnen ausbilden, die
dann durch ihre Dehnbarkeit die gegenseitige funktionswidrige
Beeinflussung der quer zu einander angeordneten Fasern wesent-
lich abschwächen oder ganz aufheben mußten (Abb. 3, Taf. I,
und Abb. 4, Taf. II).
Diese Regulation als qualitative und nicht nur strukturelle
Differenzierung des lebenden Gewebes im Sinne der Bildung
elastisch-muskulöser Systeme ist nur als vom Organismus aus
erzwungene oder induzierte verständlich. Sie ermöglicht trotz
der Drehung der Fasern eine Funktion ohne gegenseitige Stö-
rung und muß deshalb vom Teil aus gesehen ganz unverständlich
bleiben. Hier tritt der Einfluß des Organismus in Erscheinung als
Einfluß „des Ganzen“, wenn man so will, auf seine Zellen und
Gewebe, bzw. deren strukturelle und materielle Differenzierung im
Interesse einer gemeinsamen Funktion. Das ist aber gerade die
Seite im Problem der „Beziehungen zwischen Teil und Ganzem“,
welche bisher in der Histologie und in der experimentellen Ge-
webeforschung unter dem Einfluß der Zellenlehre vernachlässigt
worden ist, und ihr gilt jetzt unser besonderes Interesse.
Dasselbe ist der Fall bei einer Serie von Versuchen am Knorpel-
gewebe, die Krompecher in Gemeinschaft mit mir durchgeführt
hat, und die in den Verhandlungen der Anatom. Gesellschaft in
Leipzig 1938 bereits veröffentlicht worden sind.
Hier handelt es sich um die Aufgabe, „im wachsenden Knor-
pel die experimentellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß
ein mit glattem Knorpelüberzug ausgekleideter Gelenkspalt ent-
steht“. (Die Tatsache, daß das von einer Knochenwundfläche
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Es entstanden u. a. ganz neue Faserstrukturen, welche die
größte Ähnlichkeit mit der Herzmuskulatur hatten (Abb. 2, Taf. 1).
Sie ließen sich ohne weiteres aus der komplizierten Art ihrer Bean-
spruchung in diesem Experiment erklären — welche normaler-
weise nur bei der quergestreiften Herzmuskulatur vorkommt, die
während der Cystole ebenfalls unter einer flächenhaften Belastung
steht. (Im übrigen siehe die oben erwähnte Veröffentlichung.)
Aber nur der lebende Organismus kann sie offenbar erzeugen.
Der eingeengte Lebensraum einer Zellkultur in vitro kann diese
in den muskelbildenden Zellen schlummernde Fähigkeit nicht her-
vorlocken.
Das wird meiner Meinung nach besonders eindeutig auch
durch die weitere Tatsache bewiesen, daß alle gedrehten Muskel-
fasern infolge dieses Eingriffs elastische Sehnen ausbilden, die
dann durch ihre Dehnbarkeit die gegenseitige funktionswidrige
Beeinflussung der quer zu einander angeordneten Fasern wesent-
lich abschwächen oder ganz aufheben mußten (Abb. 3, Taf. I,
und Abb. 4, Taf. II).
Diese Regulation als qualitative und nicht nur strukturelle
Differenzierung des lebenden Gewebes im Sinne der Bildung
elastisch-muskulöser Systeme ist nur als vom Organismus aus
erzwungene oder induzierte verständlich. Sie ermöglicht trotz
der Drehung der Fasern eine Funktion ohne gegenseitige Stö-
rung und muß deshalb vom Teil aus gesehen ganz unverständlich
bleiben. Hier tritt der Einfluß des Organismus in Erscheinung als
Einfluß „des Ganzen“, wenn man so will, auf seine Zellen und
Gewebe, bzw. deren strukturelle und materielle Differenzierung im
Interesse einer gemeinsamen Funktion. Das ist aber gerade die
Seite im Problem der „Beziehungen zwischen Teil und Ganzem“,
welche bisher in der Histologie und in der experimentellen Ge-
webeforschung unter dem Einfluß der Zellenlehre vernachlässigt
worden ist, und ihr gilt jetzt unser besonderes Interesse.
Dasselbe ist der Fall bei einer Serie von Versuchen am Knorpel-
gewebe, die Krompecher in Gemeinschaft mit mir durchgeführt
hat, und die in den Verhandlungen der Anatom. Gesellschaft in
Leipzig 1938 bereits veröffentlicht worden sind.
Hier handelt es sich um die Aufgabe, „im wachsenden Knor-
pel die experimentellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß
ein mit glattem Knorpelüberzug ausgekleideter Gelenkspalt ent-
steht“. (Die Tatsache, daß das von einer Knochenwundfläche