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Ludwig Bieberbach:
gefühl entspringend. So haben wir auch in H. A. Schwarz einen
Vertreter des J2-Typus zu sehen, eines Typus freilich, der immer
mit einem gewissen Neid und einem gewissen Anlehnungsbe-
dürfnis nach J3 hinübersieht, der sich nach der Anschaulichkeit
von Jx hingezogen fühlt, und dem doch sein Ideal verbietet, sich
diesem Gefühl hinzugeben, ein Mensch also, der stets den Im-
perativ des Sollens, wenn nicht des Müssens in sich spürt.
Für die Art von Schwarz ist es dabei besonders bezeichnend,
daß er stets bei konkreten Problemen bleibt, sich nie in allge-
meine methodische Erörterungen verliert. Wo die Methode zum
Selbstzweck wird, man etwa zu einer gegebenen Methode ein
geeignetes Problem sucht oder sich nur in allgemein methodi-
schen Erörterungen ergeht, etwa Regeln zur Leitung des Geistes
aufstellt, da ist schon meist ein S-typischer Einschlag im Spiel.
Dem S-Typus ist keine andere Wirklichkeit des Namens wissen-
schaftlich würdig als eine rein gedankliche. Er baut seine Mathe-
matik, um den CANTOR’schen Ausdruck zu gebrauchen, in Freiheit
auf. Ihm wird, wie etwa dem Juden Gordan in der Invarianten-
theorie, eine zu einem bestimmten Zweck ersonnene Methode
Selbstzweck der Forschung, er erliegt, wie Jaensch das formuliert,
der Symbolwirklichkeitsverwechslung. Im Mathematischen äußert
sich das in der Errichtung frei schwebender Gedankengebäude,
denen gewiß auch eine gewisse Schönheit zukommen mag, die
aber unserer Wesensart fremd ist, da wir hinter der äußeren
Form nach einem inneren Gehalt, nach einer über die Form und
über die Folgerichtigkeit hinausgehenden Bedeutung fragen. Es
ist gewiß nicht zu bestreiten, daß manche Fragen in der Mathe-
matik völlig abstrakter Natur sind, und zwar Fragen, die man
vernünftigerweise als gesund und wesentlich bezeichnen muß.
So ist die Frage nach der Natur des Parallelenaxioms gewiß eine
gesunde Frage, und die sich daran anschließende axiomatische
Systematik der Geometrie kann nicht minder Anspruch erheben,
als wesentlich und natürlich zu gelten. Aber es ist ein anderes,
ob man sich der Bedeutung der axiomatischen Methode als eines
Mittels wissenschaftlicher Systematik, also der systematischen
Darstellung eines gegebenen Gebietes, bewußt ist, oder ob man
durch Aufstellung von beliebigen Axiomensystemen, losgelöst
von jeder Beziehung zu Vorhandenem, neue mathematische Ge-
biete willkürlich hinstellt. Wenn man sich etwa dazu versteigt,
zu behaupten, gewisse Kapitel der anschaulichen Geometrie, die
Ludwig Bieberbach:
gefühl entspringend. So haben wir auch in H. A. Schwarz einen
Vertreter des J2-Typus zu sehen, eines Typus freilich, der immer
mit einem gewissen Neid und einem gewissen Anlehnungsbe-
dürfnis nach J3 hinübersieht, der sich nach der Anschaulichkeit
von Jx hingezogen fühlt, und dem doch sein Ideal verbietet, sich
diesem Gefühl hinzugeben, ein Mensch also, der stets den Im-
perativ des Sollens, wenn nicht des Müssens in sich spürt.
Für die Art von Schwarz ist es dabei besonders bezeichnend,
daß er stets bei konkreten Problemen bleibt, sich nie in allge-
meine methodische Erörterungen verliert. Wo die Methode zum
Selbstzweck wird, man etwa zu einer gegebenen Methode ein
geeignetes Problem sucht oder sich nur in allgemein methodi-
schen Erörterungen ergeht, etwa Regeln zur Leitung des Geistes
aufstellt, da ist schon meist ein S-typischer Einschlag im Spiel.
Dem S-Typus ist keine andere Wirklichkeit des Namens wissen-
schaftlich würdig als eine rein gedankliche. Er baut seine Mathe-
matik, um den CANTOR’schen Ausdruck zu gebrauchen, in Freiheit
auf. Ihm wird, wie etwa dem Juden Gordan in der Invarianten-
theorie, eine zu einem bestimmten Zweck ersonnene Methode
Selbstzweck der Forschung, er erliegt, wie Jaensch das formuliert,
der Symbolwirklichkeitsverwechslung. Im Mathematischen äußert
sich das in der Errichtung frei schwebender Gedankengebäude,
denen gewiß auch eine gewisse Schönheit zukommen mag, die
aber unserer Wesensart fremd ist, da wir hinter der äußeren
Form nach einem inneren Gehalt, nach einer über die Form und
über die Folgerichtigkeit hinausgehenden Bedeutung fragen. Es
ist gewiß nicht zu bestreiten, daß manche Fragen in der Mathe-
matik völlig abstrakter Natur sind, und zwar Fragen, die man
vernünftigerweise als gesund und wesentlich bezeichnen muß.
So ist die Frage nach der Natur des Parallelenaxioms gewiß eine
gesunde Frage, und die sich daran anschließende axiomatische
Systematik der Geometrie kann nicht minder Anspruch erheben,
als wesentlich und natürlich zu gelten. Aber es ist ein anderes,
ob man sich der Bedeutung der axiomatischen Methode als eines
Mittels wissenschaftlicher Systematik, also der systematischen
Darstellung eines gegebenen Gebietes, bewußt ist, oder ob man
durch Aufstellung von beliebigen Axiomensystemen, losgelöst
von jeder Beziehung zu Vorhandenem, neue mathematische Ge-
biete willkürlich hinstellt. Wenn man sich etwa dazu versteigt,
zu behaupten, gewisse Kapitel der anschaulichen Geometrie, die