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Bieberbach, Ludwig; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [VerfasserIn] [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse (1940, 5. Abhandlung): Die völkische Verwurzelung der Wissenschaft (Typen mathematischen Schaffens) — Heidelberg, 1940

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https://doi.org/10.11588/diglit.43997#0027
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Völkische Verwurzelung der Wissenschaft

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Ich breche hier ab. Angesichts der so verschiedenen Typen
mathematischen Denkens fällt es auf, daß der Inhalt der Mathe-
matik trotzdem weitgehend vom Denktypus u n abhängig zu sein
scheint. In der Tat wird es schwer fallen, einen richtigen mathe-
matischen Satz anzugeben, den nicht jeder Mathematiker eben
als richtig anerkennte. Sowie sich aber die Frage erhebt, ob der
betreffende Satz wichtig, interessant, belangvoll sei, da wird man
schon die verschiedensten Urteile hören. Die Meinung darüber
hängt weitgend vom Typus des Beurteilers ab. Bei der Frage
nach der Richtigkeit fällt der Typus weniger ins Gewicht, solange
man die Richtigkeit an der logischen Folgerichtigkeit mißt und
man sich über die Grundlagen der Schlüsse einig ist. Aber ge-
rade da hapert es schon oft mit der Einigkeit. Es gibt bekannt-
lich allerlei mathematische Sätze, welche die formalistische Rich-
tung der Mathematik anerkennt, welche die intuitionistische dagegen
als reine Hirngespinste ablehnt. Ob man sich aber nun in der
Grundlagenforschung auf den formalistischen oder auf den intui-
tionistischen Standpunkt stellt, das scheint, wie schon gelegentlich
der Holländer Heyting 30) hervorhob, weltanschaulich bedingt zu
sein. Wir sahen ja auch früher schon, daß die Einstellung der
Typen zum Wert der allgemeinen Mengenlehre sehr verschieden
ausfällt.
Ein Angehöriger des reinen Jx-Typus wird den logischen
Grundlagenfragen überhaupt kaum Interesse entgegenbringen, ein
reiner S-Typus auf der anderen Seite wird seine Freude an einem
raffinierten, auf wenige Zeilen zusammengedrängten Beweis
haben, sich aber für den natürlichen Zugang zum Ergebnis gar
nicht interessieren. Somit ist es nur Schein, wenn man meint,
der Bestand der Mathematik an sicheren Ergebnissen sei vom
Typus unabhängig. Wohl gibt es einen großen Bestand an
Sätzen und Methoden, der unabhängig vom Typus Anerkennung
findet. Daneben steht aber vielerlei, das nur einem Teil der
Mathematiker sinnvoll oder wertvoll ist. Doch genug davon.
Noch bleiben zwei Fragen zu erörtern. Nämlich einmal, inwie-
30) A. Heyting, Mathematische Grundlagenforschung. Intuitionismus,
Beweistheorie (Ergebnisse der Mathematik, Band 3, Heft 4, Berlin 1934),
S. 55. Dieser Unterschied verträgt sich durchaus mit der Tatsache, daß
Hilbert und Brouwer beide beim psychologischen Typus J3/J2 ein-
zuordnen sind. Daraus, daß zwei Männer mit einer idealen Norm an ihre
Wissenschaft herantreten, folgt nicht, daß es bei beiden dieselbe Norm
sein muß.
 
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