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LeoKoenigsberger:
Decennien wieder eine hervorragende Stelle in der Geschichte
der deutschen Philosophie einzunehmen beginnt.
JACOB FRIEDRICH FniES, im Jahre 1773 in Barby an der
Elbe geboren, hatte schon frühzeitig cm hervorragendes Inter-
esse für philosophische und mathematische Fragen bekundet und
war, nachdem er seine juristische Laufbahn verlassen, 24 Jahre
alt, zur Vertiefung seiner IvANT-Studien nach Jena gegangen,
dessen Ruhm durch die Anwesenheit von GOETHE, SCHILLER,
FiCHTE und den beiden HUMBOLDTS sowie durch eine große An-
zahl hervorragender Fachgelehrten mit dem Glanze der neu ent-
standenen Berliner Universität zu wetteifern begann.
Die IcANT'sche Philosophie beschäftigte damals die gesamte
wissenschaftliche Welt; die völlige Umwälzung in der Auf-
fassung metaphysischer Probleme und die auf diesem Gebiete
so ungewohnte mathematische Klarheit des großen Denkers
hatte überall Staunen erregt und zunächst jeden Widerspruch ver-
stummen lassen. Aber schon drohte die FiCHTE'sche Wissen-
schaftslehre und die ScHELLiNG'sche Naturphilosophie, deren
Urheber zwar auf dem Boden von KANT zu stehen Vorgaben, die
eben erst erstarkte Basis der philosophischen Wissenschaft
zu erschüttern. ,,Die volle Unparteilichkeit", sagt IlARNACK
mit Recht, ,,welche sich die Berliner Akademie ihr gegenüber
zum Gesetz machte, bedeutete in Wahrheit eine grundsätzliche
Ablehnung der KANT'schen Philosophie". Auch unser jugend-
licher Verehrer des großen Philosophen konnte schon damals
seine Bedenken gegen gewisse grundlegende Anschauungen
KANTS nicht unterdrücken und brachte frühzeitig, wie seine Auf-
zeichnungen lehren, ein psychologisches oder, wie man jetzt
will, ein anthropologisches Element in den Kritizismus von
KANT. Aber in der Methodik der philosophischen Forschung
blieb er ihm treu; ihm wie KANT war die Viathematik der un-
wandelbare Leitstern für alle Spekulationen der Metaphysik;
nur in der Verbindung mit dieser sollte sich die Philosophie
eine feste Basis schaffen, um dann den anderen Wissenschaften
eine sichere Führerin zu sein; bescheiden sollte sie sich von
den Anfängen mathematischer Forschung aus in besonnener
Spekulation zu den höchsten Wahrheiten zu erheben suchen.
Nachdem sich FRIES im Jahre 1801 in Jena habilitiert
und neben ScHELLiNG philosophische, mathematische und
naturwissenschaftliche Vorlesungen gehalten, wurde ihm, als
LeoKoenigsberger:
Decennien wieder eine hervorragende Stelle in der Geschichte
der deutschen Philosophie einzunehmen beginnt.
JACOB FRIEDRICH FniES, im Jahre 1773 in Barby an der
Elbe geboren, hatte schon frühzeitig cm hervorragendes Inter-
esse für philosophische und mathematische Fragen bekundet und
war, nachdem er seine juristische Laufbahn verlassen, 24 Jahre
alt, zur Vertiefung seiner IvANT-Studien nach Jena gegangen,
dessen Ruhm durch die Anwesenheit von GOETHE, SCHILLER,
FiCHTE und den beiden HUMBOLDTS sowie durch eine große An-
zahl hervorragender Fachgelehrten mit dem Glanze der neu ent-
standenen Berliner Universität zu wetteifern begann.
Die IcANT'sche Philosophie beschäftigte damals die gesamte
wissenschaftliche Welt; die völlige Umwälzung in der Auf-
fassung metaphysischer Probleme und die auf diesem Gebiete
so ungewohnte mathematische Klarheit des großen Denkers
hatte überall Staunen erregt und zunächst jeden Widerspruch ver-
stummen lassen. Aber schon drohte die FiCHTE'sche Wissen-
schaftslehre und die ScHELLiNG'sche Naturphilosophie, deren
Urheber zwar auf dem Boden von KANT zu stehen Vorgaben, die
eben erst erstarkte Basis der philosophischen Wissenschaft
zu erschüttern. ,,Die volle Unparteilichkeit", sagt IlARNACK
mit Recht, ,,welche sich die Berliner Akademie ihr gegenüber
zum Gesetz machte, bedeutete in Wahrheit eine grundsätzliche
Ablehnung der KANT'schen Philosophie". Auch unser jugend-
licher Verehrer des großen Philosophen konnte schon damals
seine Bedenken gegen gewisse grundlegende Anschauungen
KANTS nicht unterdrücken und brachte frühzeitig, wie seine Auf-
zeichnungen lehren, ein psychologisches oder, wie man jetzt
will, ein anthropologisches Element in den Kritizismus von
KANT. Aber in der Methodik der philosophischen Forschung
blieb er ihm treu; ihm wie KANT war die Viathematik der un-
wandelbare Leitstern für alle Spekulationen der Metaphysik;
nur in der Verbindung mit dieser sollte sich die Philosophie
eine feste Basis schaffen, um dann den anderen Wissenschaften
eine sichere Führerin zu sein; bescheiden sollte sie sich von
den Anfängen mathematischer Forschung aus in besonnener
Spekulation zu den höchsten Wahrheiten zu erheben suchen.
Nachdem sich FRIES im Jahre 1801 in Jena habilitiert
und neben ScHELLiNG philosophische, mathematische und
naturwissenschaftliche Vorlesungen gehalten, wurde ihm, als