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Koenigsberger, Leo; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung A, Mathematisch-physikalische Wissenschaften (1911, 9. Abhandlung): Zur Erinnerung an Jacob Friedrich Fries: Rede — Heidelberg, 1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.37065#0012
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LeoKoenigsberger:

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die physikalischen Hypothesen von KANT einem widerspruchs-
losen Ausbau der theoretischen Physik entgegenstellten. Die
bahnbrechenden Untersuchungen des von ihm bewunderten
Lehrers über Größe und Zahl, über Raum, Zeit und Stetigkeit
ließen ihn sehr bald einsehen, daß wir mit irgendwelcher Aus-
sicht auf Erfolg in der Erforschung der Natur unserer Erkennt-
nisse die Schwierigkeiten gar nicht in den Anwendungen der
Mathematik und Mechanik zu suchen haben, sondern in den
eigensten Prinzipien der Arithmetik, der Geometrie und der
reinen Bewegungslehre selbst — die Natur der mathematischen
Erkenntnisse an sich war zunächst zu zergliedern.
Wer die Ansicht von FRIES teilt, daß die einzige vollständige
wissenschaftliche Erkenntnis des Menschen die Erkenntnis der
Welt der Gestalten und deren Bewegungen ist, wer ferner darin
ihm zustimmt, daß die Erkenntnis der sinnlichen Qualitäten
der Gegenstände nach Farbe, Ton usw., und sogar die Erkenntnis
des geistigen Lebens nur durch jene Erkenntnis von Gestalt und
Bewegung ihre Raum- und Zeit-, ihre Zahl- und Gradbestimmungen
erhält, der wird auch mit ihm für die Zusammensetzung jeder
Wissenschaft aus Philosophie, Mathematik und Empirie zunächst
die Durchdringung der beiden großen fundamentalen Auf-
gaben fordern müssen: eine Phdosophie der reinen Mathe-
matik, welche die Natur der mathematischen Abstraktionen
feststellt und ihren Anspruch auf Gültigkeit für die menschliche
Erkenntnis überhaupt erörtert, und eine philosophische Unter-
suchung der reinen Bewegungslehre im Sinne der mathe-
matischen Naturphilosophie.
Gewiß wird ihm der Mathematiker der Jetztzeit recht geben,
wenn er sagt, daß die Mathematik trotz ihrer Sicherheit und
scheinbaren Klarheit den ihr eigentümlichen Mangel nicht ver-
bergen kann, wenn die Philosophie ihr die Frage entgegenhält,
wie wir denn dazu kommen, uns so sorglos auf dem Gebiete der
Zahlformen, des Raumes und der Zeit auszubreiten, ohne uns
um den Rechtsgrund zu kümmern, der uns in diesen Besitz ge-
führt. Er nennt die Mathematik - und wen erinnert dies nicht
an unsern KiRCHHOFF — eine Beschreibung des Gebietes der
Zahlen, des Raumes und der Zeit — aber woher kommen
Zahl, Raum, , Zeit? fragt nach FniEs' Auffassung der re-
flektierende und analysierende Verstand die synthetisch ar-
beitende Vernunft. Er konnte freilich vor hundert Jahren noch
 
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