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Koenigsberger, Leo; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung A, Mathematisch-physikalische Wissenschaften (1913, 8. Abhandlung): Die Mathematik, eine Geistes- oder Naturwissenschaft?: Festrede — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.37350#0007
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Die Mathematik eine Geistes- oder Naturwissenschaft ? (A. 8) 7
Natur den Künstler begnadet hat, jene Kunstwerke entstehen
lassen, den Gesetzen der Schönheit folgend, die in der Seele ihres
Schöpfers verborgen lagen und bewußt oder unbewußt in die Wirk-
lichkeit traten.
So baut sich überall auf dem Boden der Erfahrung mittels
der verschiedenen Erkenntnisvermögen und den festen Normen
des Denkens und Fühlens Kunst und Wissenschaft auf.
,,Das wahrnehmende Erkennen des entwickelten Bewußt-
seins“, sagt Benno Erdmann in seiner neuesten Arbeit: Erkennen
und Verstehen, „vollzieht sich ausnahmslos unter der Mitwirkung
von Gedächtnishilfen, die teils Gedächtnisresiduen früherer Wahr-
nehmungen sind, teils Vorstellungen darbieten, die aus den früheren
Wahrnehmungen abgeleitet sind. Alle Wahrnehmungen des ent-
wickelten Bewußtseins sind demgemäß Bestandteile der Er-
fahrung.“
Ob aber all’ die geistigen Kräfte und Erkenntnisvermögen,
wie Vernunft, Verstand, Gedächtnis und der freie Wille des Menschen,
sowie das Gewissen, der kategorische oder energetische Imperativ
und das anthropologische Prinzip von der Würde der Person auch
in Wahrheit verschieden sind, wer vermag diese Frage zu beant-
worten ? — vielleicht entspringen sie alle einer gemeinsamen
Wurzel, der höchsten physischen und geistigen Macht in der leb-
losen und lebendigen Natur. Die Erforschung der Einheitlichkeit
unserer geistigen Kräfte und somit auch der Einheitlichkeit allen
menschlichen Wissens und Fühlens bildet das wichtigste und
schwierigste Problem aller Geistes- und Kulturwissenschaften und
ist eng verknüpft mit der Frage nach dem charakteristischen
Unterschied der Geistes- und Naturwissenschaften.
Als ich in einem Briefe an Kuno Fischer im Jahre 1875
bei Gelegenheit seiner Prorektoratsrede „Über das Problem der
menschlichen Freiheit“ eben jenen Gedanken Ausdruck gab,
schrieb mir dieser ausgezeichnete Philosoph und Psychologe:
„Sie haben genau den Punkt bezeichnet, in den ich alles
Gewicht gelegt haben wollte, die Reduktion (nicht die Lösung)
des Problems auf die Frage des Gewissens. Ich wollte dem
Determinismus in alle Wege folgen, die er mit Sicherheit geht, auf
denen die ordinäre Freiheitslehre herumstolziert, ungeschickt und
ohne Menschenkenntnis, ich wollte aber auch den Punkt bezeichnen,
wo dem Determinismus mit seinen tiefsten Gedanken die Menschen-
 
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