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Salomon-Calvi, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung A, Mathematisch-physikalische Wissenschaften (1918, 1. Abhandlung): Tote Landschaften und der Gang der Erdgeschichte — Heidelberg, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.36420#0012
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4 (A.l)

W. SALOMOS:

den an zahlreichen Stellen unserer Mittelgebirge Felsenmeere, und
nehmen gewöhnlich an, daß sie durch langsames Abbröckeln vor-
springender Felsgesimse, oder durch irgend welche andere noch
heute dort wirksamen Vorgänge entstanden seien und sich, wenn
auch unmerklich, weiter bildeten. Wir beobachten, daß die lok-
keren Gehängeschuttmassen eines bestimmten Gesteins viel tiefer
am Gehänge herunterreichen, als das anstehende Gestein selbst;
und wir erklären uns diese Lage durch das noch heute, wenn auch
nur in kleinem Maße wirksame Gekriech. So kommt es wohl auch,
daß in der noch jetzt, wenn auch in bescheidenem Maße ver-
gletscherten Nordschweiz die Vorstellung von einer ehemals weit
größeren Ausdehnung und Wirksamkeit der Gletscher viel früher
Fuß faßte, als in Norddeutschland, und daß kein Norddeutscher,
sondern der aus seiner skandinavischen Heimat mit Gletschern
vertraute ToRELL der Überwinder der Drifttheorie wurde.
Daß aber die Erklärung der Landschaftsformen aus den gegen-
wärtig in ihnen wirksamen Faktoren nicht immer zutrifft, ist frei-
lich trotzdem längst bekannt. In den ehemals vergletscherten,
jetzt eisfreien Gebieten zum Beispiel treffen wir einen Formen-
schatz^ an, der seine Entstehung der Tätigkeit des Eises verdankt.
Das Eis ist verschwunden, die Form ist geblieben. Zu ihrer Erklä-
rung verwenden wir, wie immer, den Grundsatz des Aktualismus.
Das heißt, wir bemühen uns durch Beobachtung der Wirkungen
heutiger Gletscher die Vorgänge der Vergangenheit und damit die
Landschaftsformen zu erklären. Aber diese selbst verdanken an
der Stelle, an der wir sie jetzt beobachten, ihre Entstehung nicht
der allmählichen Summierung von heute dort noch wirksamen Vor-
gängen, sondern von Kräften der geologischen Vergangenheit. Das
Antlitz der Landschaft ist tot. Wir sehen vor uns fossile Formen,
fossile oder in diesem Sinne tote Landschaften. Die
heutigen geologischen Vorgänge prägen die alten Formen nicht
weiter aus, sondern sind bemüht sie zu verwischen und zu ver-
nichten.
Wo nun die frühere Anwesenheit eines jetzt verschwundenen
geologischen Agens wie des Eises leicht nachweisbar ist, wird nie-
mand an dem Tatbestand zweifeln. Anders scheint es mir aber
mit gewissen Charakterzügen unseres deutschen Landschafts-
i Ich sehe hier natürlich ganz von der Erörterung des Streites über
Glazialerosion ab.
 
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