Metadaten

Bopp, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung A, Mathematisch-physikalische Wissenschaften (1920, 14. Abhandlung): Moritz Cantor: Gedächtnisrede, gehalten im Mathematischen Verein zu Heidelberg am 19. Juni 1920 — Heidelberg, 1920

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.36522#0015
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Moritz Cantort

(A.14) 15

hätte ja nur des Hinweises auf seine eigene Schaffenskraft bedurft,
um den Existenzbeweis glänzend zu erbringen. Denn unerschöpf-
lich war der Reichtum seiner Gedanken. Eben gestaltete er wieder
das Lebensbild des Hieronymus Cardanus für die Atti del
Congresso di scienze in Rom 1904 (S. 31), hatte er sich über sein
eigenstes Geheimnis, das seiner Methode in der R.M. IVg S. 113/117
unter dem Titel: Wie soll man die Geschichte der Mathe-
matik behandeln ? ausgesprochen, hatte er als Einführender der
historischen Sektion des Heidelberger Kongresses, sich in einer,,E in-
führungin die Geschichte der Mathematik" über die neuesten
Probleme seines Faches geäußert. So sehen wir ihn in rastloser
Arbeit bis 1910, wo er m seiner schönen Feuerbachbiographie,
die er am 25. X. genannten Jahres der Heidelberger Akademie
vorlegte, worin er das Wirken des Neunpunktekreisentdeckers
genauer erforschte, den würdigen Schlußstein seinem literarischen
Schaffen oinfügte.
Und mit seinen Vorlesungen kam er an das 60jährige
Jubiläum akademischer Wirksamkeit heran. Sein Herz war jung
geblieben und warm für alle Menschen, es galt auch ihm
hei seinem Handeln schlechthin LESSiwcs Wort: ,,Genug, er war
ein Mensch", in den Werken unserer großen Dichter war er
zu Hause, weil in ihm seihst poetische Saiten klangen und er seihst
oft dichterischen Ausdruck fand für sein reiches Innenleben.
Manch' hübsche Verszeilen von seiner Hand sind seinen Lieben
teuerer Resitz. Und so konnte er sich freuen mit der Jugend. Sein
gastliches Haus war wie in all' den langen Jahren seines munus
Professorinm den jüngeren Semestern geöffnet wie den älteren
Freunden.
Die Welt ehrte ihn mit Titeln und Diplomen, von vielen
gelehrten Körperschaften war er zum Mitglied (Petersburg, Wien,
Turin u. a.) erwählt, aber er blieb anspruchslos und einfach,
heiteren Geistes bis in sein hohes Alter, wiewohl er unter dem ver-
lorenen Krieg tapfer htt. ln guter Gesundheit konnte er im Kreise
aller seiner Ideben noch den 90. Geburtstag feiern. Wehmütige
Ahnung erfüllte an diesem Tag sein Herz und sprach aus seinem
Wort. Hs war ihm nicht mehr vergönnt des nächsten Sommers
goldene Morgenstunden in seinem Garten zu genießen. Am 9. April
dieses Jahres war nach kurzen, schweren letzten Leidenstagen
seine irdische Laufbahn vollendet. Ein bei allem gütiges Schicksal
ersparte ihm die Nachricht vom allzufrühen Tode seines Sohnes.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften