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Goldschmidt, Victor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung A, Mathematisch-physikalische Wissenschaften (1921, 12. Abhandlung): Über Complikation und Displikation — Heidelberg: Winter, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.56266#0060
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60

Victor Goldschmidt:

harmonisch miteinander nichts zu tun haben. Dagegen sind die
Finger der Hand, wie die Abschnitte eines Musikstückes, harmonisch
gegliedert. Es ist übrigens zu prüfen, ob die Ausnahmen nicht
scheinbare sind und ob ihnen nicht als tiefere Ursache eine Fur-
kation oder Complikation zugrunde liegt.
Die Furkation kann (wie die Complikation) mathematisch ins
Unendliche gehen. In der Natur hat sie (ebenso wie die Compli-
kation) ihre Grenzen. Mathematisch drückt sich diese Begrenzung
auf eine endliche Zahl von Gliedern in der Form aus, daß von den
immer schwächer werdenden Gliedern der unendlichen Reihe alle
bis auf die ersten n-Glieder entfallen. Die Funktion ist dadurch
nicht wesentlich verändert. So ist ein Dezimalbruch nicht falsch,
wenn ich nur die ersten drei oder fünf Stellen für die Rechnung
benutze, und die Zahl ir=3.14 statt 3.1415926... tut in den
meisten Fällen ihren Dienst.
Das Entfallen der schwachen Endglieder folgt in der Natur
den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit, die jedem der Glieder eine
bestimmte Aussicht, in die Erscheinung zu treten, zuteilt. Geht
diese Wahrscheinlichkeit unter ein bestimmtes Maß hinab, so wird
sie praktisch = 0. Die unendliche Reihe reißt ab. Nach der
Stärke und der damit verbundenen Wahrscheinlichkeit haben die
Glieder der Reihe oder Gruppe eine Rangordnung. So haben die
Zahlen in dem Dezimalbruch 3.1415926 ... ihre Rangordnung. Die
9 ist im Rang niedriger als die 5 und die 6 niedriger als die 2.
Vernachlässigt man ein Glied, z. B. die 5, so entfallen damit die
folgenden.
Konkurrenz der Gesetze in der Natur. Zum Entfallen der
schwachen Glieder der Entwicklung in der Natur wirkt noch ein
anderes Moment mit: Die Mathematik kann ein Gesetz allein auf-
stellen und ins Feinste ausarbeiten. In der Natur sind immer
mehrere Gesetze in Konkurrenz und stören einander.
Leicht beieinander wohnen die Gedanken,
Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen.
Das neue Gesetz zerstört zunächst die schwachen Ausläufer
des ersten oder läßt sie nicht zur Entfaltung kommen und rückt,
wenn es selber stark ist, dem ersten bis ans Herz hinan. Mathe-,
matisch drückt sich das aus durch Entfallen der späteren Glieder
der Reihe. i
Beispiel. Der Gabelung der Äste und Zweige des Baumes ist
eine Grenze gesetzt. Es muß zwischen ihnen Luft sein für Blätter
 
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