Das fränkische Gesicht. I.
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charakteristischen Jochvorsprünge und -schatten auf hunnische
Erbschaft zurück; im württembergischen Unterland ist der Aus-
druck „Hunnelesknöchle“ für diese Eigentümlichkeit gang und
gäbe. Volkstümliche Deutungen verdienen immer Aufmerksam-
keit, weil sie oft mindestens einen Kern von Wichtigerüberlieferung,
Erfahrung oder Beobachtung einschließen. Trotzdem ist mit jener
Zurückführung auf die hunnische Vermischung nichts anzufangen.
Denn erstens ist es aussichtslos, über Art, Umfang und Nachdauer
der vor über einem Jahrtausend in Mitteleuropa vollzogenen Rassen-
kreuzungen irgendeine für konkrete Erklärungszwecke hin-
reichend umschriebene Kenntnis zu erlangen. Und zweitens steht
es außer Zweifel, daß „hunnische“ Massen sich auch in Landschaften
aufgehalten haben, deren Bevölkerung in ihrer Physiognomie kein
Andenken an hunnische Einkreuzungen bewahrt hat, was z. B.
vom Verbreitungsgebiet des schwäbischen Gesichts mit Sicherheit
gesagt werden kann.
15. Einen morpho-chemischen Erklärungsversuch des
„alemannischen psychophysischen Typus“ hat mir 1914 (im Felde)
Dr. Rautmann, Privatdozent der inn. Medizin zu Freiburg, ent-
wickelt; er möchte vielleicht auch für unsere Frage verwendbar
erscheinen. Danach ist die alemannische Psychophysis ein Produkt
der thyreogenen Sekretion, ein endokriner Habitus, ein Schild-
drüsen- (oder Kropf-) Typ. Sowohl die Vierschrötigkeit, Plump-
heit, Dickhälsigkeit, Rundgesichtigkeit, das „Unmodellierte“ der
Züge, als auch die seelische Schwerblütigkeit und Gehemmtheit
wäre eine Art — cum grano salis — physiologischen Äquivalentes
zum Myxoedem. In Kontrastanalogie hierzu müßte (wie ich aus-
führe) der fränkische Typus mit seiner Lebhaftigkeit, Hemmungs-
losigkeit, Erregbarkeit (seinem „quecksilberigen“ Temperament)
und seiner relativ häufigeren Magerkeit und Zartgliedrigkeit, seinen
eckigen, spitzigen und krausen Formen, als ein „basedowoider“
gedeutet werden. — Diese Erklärung hat etwas Bestechendes.
Aber m. E. sind unsere Einsichten in die normalen morphologischen
Wirkungen der thyreogenen (und überhaupt der inneren) Sekretion
sowie in die Geographie der thyreotoxischen Varietäten (regionales
Vorwiegen der basedowoiden, der indifferenten und der myxoede-
matösen Schilddrüsenformen) nicht entfernt zureichend, um heute
konkrete Bevölkerungstypen psychophysisch, also auch physio-
gnomisch aus endokriner Verursachung herzuleiten.
16. Eine anthropologische, rassentheoretische Erklä-
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charakteristischen Jochvorsprünge und -schatten auf hunnische
Erbschaft zurück; im württembergischen Unterland ist der Aus-
druck „Hunnelesknöchle“ für diese Eigentümlichkeit gang und
gäbe. Volkstümliche Deutungen verdienen immer Aufmerksam-
keit, weil sie oft mindestens einen Kern von Wichtigerüberlieferung,
Erfahrung oder Beobachtung einschließen. Trotzdem ist mit jener
Zurückführung auf die hunnische Vermischung nichts anzufangen.
Denn erstens ist es aussichtslos, über Art, Umfang und Nachdauer
der vor über einem Jahrtausend in Mitteleuropa vollzogenen Rassen-
kreuzungen irgendeine für konkrete Erklärungszwecke hin-
reichend umschriebene Kenntnis zu erlangen. Und zweitens steht
es außer Zweifel, daß „hunnische“ Massen sich auch in Landschaften
aufgehalten haben, deren Bevölkerung in ihrer Physiognomie kein
Andenken an hunnische Einkreuzungen bewahrt hat, was z. B.
vom Verbreitungsgebiet des schwäbischen Gesichts mit Sicherheit
gesagt werden kann.
15. Einen morpho-chemischen Erklärungsversuch des
„alemannischen psychophysischen Typus“ hat mir 1914 (im Felde)
Dr. Rautmann, Privatdozent der inn. Medizin zu Freiburg, ent-
wickelt; er möchte vielleicht auch für unsere Frage verwendbar
erscheinen. Danach ist die alemannische Psychophysis ein Produkt
der thyreogenen Sekretion, ein endokriner Habitus, ein Schild-
drüsen- (oder Kropf-) Typ. Sowohl die Vierschrötigkeit, Plump-
heit, Dickhälsigkeit, Rundgesichtigkeit, das „Unmodellierte“ der
Züge, als auch die seelische Schwerblütigkeit und Gehemmtheit
wäre eine Art — cum grano salis — physiologischen Äquivalentes
zum Myxoedem. In Kontrastanalogie hierzu müßte (wie ich aus-
führe) der fränkische Typus mit seiner Lebhaftigkeit, Hemmungs-
losigkeit, Erregbarkeit (seinem „quecksilberigen“ Temperament)
und seiner relativ häufigeren Magerkeit und Zartgliedrigkeit, seinen
eckigen, spitzigen und krausen Formen, als ein „basedowoider“
gedeutet werden. — Diese Erklärung hat etwas Bestechendes.
Aber m. E. sind unsere Einsichten in die normalen morphologischen
Wirkungen der thyreogenen (und überhaupt der inneren) Sekretion
sowie in die Geographie der thyreotoxischen Varietäten (regionales
Vorwiegen der basedowoiden, der indifferenten und der myxoede-
matösen Schilddrüsenformen) nicht entfernt zureichend, um heute
konkrete Bevölkerungstypen psychophysisch, also auch physio-
gnomisch aus endokriner Verursachung herzuleiten.
16. Eine anthropologische, rassentheoretische Erklä-