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Hellpach, Willy [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung B, Biologische Wissenschaften (1921, 2. Abhandlung): Das fränkische Gesicht, Folge 1 — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.41200#0011
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Das fränkische Gesicht. I.

(B. 2) 11

sichts beweist m. E., daß dieser physiognomische Typus im wesent-
lichen ein Umweltprodukt ist. Er ist an einen Lebensschau-
platz gebunden und kann sich mit dessen Wechsel bis in sein
„Gegenstück“ verändern, um so leichter und völliger, je plastischer
der Organismus (und mit ihm das Gesicht), also je jünger an Lebens-
alter er ist, wenn der Schauplatzwechsel stattfindet. Ob und wie-
weit an solchen Umformungen naturale Faktoren mitwirken können,
ob es also geophysiopsychische Umformungen (durch Klima,
Boden) gibt, entzieht sich bis heute der verwertbaren Kenntnis8.
Die wesentliche Umformung eines fränkischen Gesichts in ein
schwäbisches Gesicht vollzieht sich durch die soziale Umwelt,
unterm seelischen Einfluß der Mitmenschen, sie ist ein sozial-
psychophysischer Prozeß. Als einen ebensolchen fasse ich auch die
Entstehung und Erhaltung des fränkischen Gesichts und des
schwäbischen Gesichts innerhalb der fränkischen und der schwäbisch-
alemannischen Mundartsterritorien auf. Es bleiben noch die wirk-
samen Hauptelemente in diesem Prozeß aufzuführen.
Die terminologische Abschattierung „geophysiopsychisch“ und
„sozialpsychophysisch“ bezeichnet für jeden dieser beiden Fälle
zugleich den Wirkungsweg: dort vom Klima oder Boden über den
Körper zur Psyche —■ hier von der Mitmenschheit über die Psyche
zum Körper. — Ob morphologische Varietäten beim Menschen
durch Klima- und Bodeneinwirkungen entstehen und sich erhalten,
liegt gänzlich im Dunklen.
18. Die beiden physiognomoplastischen — gesicht-
formenden — Kräfte, welche mit der mitmenschlichen
Umwelt wechseln, sind das regionale Temperament und die
regionale Mundart.
19. Das regionale Temperament ist die Tatsache, daß
innerhalb jedes uns bekannten größeren Volkskreises, auch und
besonders des deutschen, die Einheit des Volksgeistes und Volks-
charakters in z. T. sehr ausgeprägte regionale Unterschiede, nament-
lich solche des „Temperaments“ gegliedert ist; des Temperaments,
d. i. der dynamis eben Eigenart des seelischen Erlebens und seiner
Äußerungen, also seiner impressiven und expressiven Raschheit,
Lebhaftigkeit und Nachhaltigkeit. In dieser Hinsicht zeigen die
deutschen „Stämme“ beträchtliche Unterschiede. Jeder Versuch,
diese Unterschiede auf klimatische, überhaupt geophvsische, vege-
tative, nutritive Einflüsse zurückzuführen, ist bisher mißglückt7.
Es bleibt der Tatbestand, daß die Temperamentsart regional sehr
 
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