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Hellpach, Willy [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung B, Biologische Wissenschaften (1921, 2. Abhandlung): Das fränkische Gesicht, Folge 1 — Heidelberg, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.41200#0013
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Das fränkische Gesicht. I.

(B. 2) 13

Viel Sprechen und Lachen ist fränkische Eigentümlichkeit, über-
haupt eine lebhaft bewegte, ungebundene Mimik (von der gestiku-
lativen Beweglichkeit kann hier, wo es sich um die physiognomi-
schen Dinge handelt, abgesehen werden); wo der äußere Anstoß
fehlt, um diese Reaktion auszulösen, tritt eine entsprechende Spon-
taneität des Sprechens und Lachens in bezeichnende Erscheinung.
21. Das alemannisch-schwäbische Temperament hingegen zeigt
überaus langsames, zögerndes, aber nachhaltiges und gründliches
Aufnehmen und Beantworten aller Erlebnisse, und als Äußerungs-
form des Innenlebens eine schwerfällige, gehaltene, gebundene, ja
oft geradezu gehemmte Motorik der mimischen (und gestikula-
tiven) Ausdrucksmittel. Die Intensität der Verarbeitung geht bis
zur Vergrübelung, die Zähigkeit der Nachwirkungen bis zum „Haf-
ten“ selbst belangloser Erlebnisse. Das „Wesen“ dieser Menschen
ist ernst, oft unbewegt (dadurch auch undurchsichtig), gemessen,,
reserviert, gebunden. Auch die innerlich heiteren Naturen darunter
(es überwiegen aber durchaus die ernsten, ja schwernehmenden)
sind nicht leicht „fröhlich“ oder gar „lustig“; Lächeln ersetzt
meistens das Lachen, selbst die gesprächigen Naturen (im schwä-
bischen Stammeszweig engeren Sinnes nicht so dünn gesät) haben
in ihrer Rede etwas Wichtiges, Lehrhaftes, oft Unlebendiges,
Sprödes, und lassen das Plauderhafte, sprudelnd Geschwätzige des
fränkischen Typus vollkommen vermissen. Die stark verhaltene
Mimik kommt den gebundeneren Erscheinungsformen des Froh-
sinns: Schalkhaftigkeit, Beschaulichkeit, Humor — am ehesten
zugute, während Vorwitz und Schlagfertigkeit fehlen. Besonders
eindrucksvoll tritt die gebundene Temperamentsart bei Massen-
veranstaltungen in Erscheinung. „Ansteckende“ Lebhaftigkeit, die
im fränkischen Wohngebiet gern überschäumt, bleibt hier so gut
wie ganz aus; der Redner findet aufmerksame und nachdenkliche,
aber selten hinzureißende Hörerschaften; gegenüber etwa dem
pfälzischen Dorf, dessen betäubend lärmende Sonntagsausgelassen-
heit schon W. H. Riehl8 klassisch geschildert hat, können im
Schwarzwald selbst Volksfeste einen merkwürdig stillen, gehaltenen,
eher feierlichen, nicht selten steifen Eindruck erwecken.
22. Nun ist Tatsache, daß die Physiognomie jedes Menschen
durch den mimischen Ausdruck seines Innenlebens ebenso wie durch
die bloße Konventionsmimik des Alltags wesentlich mitgestaltet
wird. Dies ist ja auch nur ein Einzelgattungsfall der
funktionellen Mitbestimmung aller morphologischen
 
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