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W. Windelband:
Kern festzuhalten vermag. Dazu aber ist es erforderlich, daß
auch die begriffliche Arbeit der wissenschaftlichen Philosophie
sich mit entschiedenem Bewußtsein die Momente zu eigen macht,
welche sie selhst bei Hegel für die Lösung ihrer eigenen Auf-
gaben finden kann: und an solchen fehlt es wahrlich nicht.
Wenn die Philosophie nach Kant sich mit ihrer hegriff-
lichen Arbeit auf die Entwicklung des Systems der Yernunft
richten mußte, so ist es in der Tat ein notwendiger Fortschritt
gewesen, der von Kant über Fichte und Schelling zu Hegel
führte, und die Wiederholung dieses Prozesses in dem Fort-
scbritt der neuesten Philosophie vom Neukantianismus zum
Neuhegelianismus ist nicht zufällig, sondern hesitzt in sich eine.
sachlicbe Notwendigkeit.
Es gilt jenes Apriori zu erforschen, clas sachliche An-sich
der Vernunft, das unabhängig von aller empirischen Erfassung
für die Welt der Erfahrung und damit über diese hinaus gilt.
Diese Erforschung aber können wir nur mit der menschlichen
Vernunft und von ihr aus anstellen. In ihr wird clas Apriori,
eingebettet in ihren empirischen Tätigkeiten, von uns vorge-
funden, um durch die philosophische Ivritik hera.usgearbeitet
und in ihrem Geltungsrechte begriffen zu werden. Das meinte
Kant mit seiner Frage nach cleni Rechtsgrunde cler synthe-
tischen Urteile a priori. Unser Bewußtsein tindet. in sich, zwar
nicht auf den ersten und oberflächlichen Anblick, aber bei ernster
Selbstdurchforschung eine Anzahl von Voraussetzungen, ohne
die das gemeinsame Geistesleben, welches das Wesen aller
Kultur ausmacht, unmöglich sein würde. Diese Voraussetzungen
lassen sich als Sätze formulieren, clie wir mit dem Anspruch auf
unhedingte Notwendigkeit uncl Allgemeingültigkeit behaupten,
deren Geltung wir aus clen Daten unserer Erfahrung niemals
vollständig begründen können uncl die wir doch als für ciiese
Erfahrung allgemein und notwendig geltend anerkennen. Solche
Voraussetzungen liegen allem wissenschaftlichen Denken, aller
sittlichen Lebensgemeinschaft, aller künstlerischen Betätigung im
Schaffen und Genießen, afler religiösen Üherzeugung und Übung
zugrunde. Sie sollen von der Philosophie in ihrer sachljchen
Geltung zur Evidenz gehracht werden, aber sie müssen eben
cleshalb zunächst mit systematischer Vollständigkeit festgestellt.
werden.
Wie soll nun diese Erforschung uncl tatsächliche Konsta-
W. Windelband:
Kern festzuhalten vermag. Dazu aber ist es erforderlich, daß
auch die begriffliche Arbeit der wissenschaftlichen Philosophie
sich mit entschiedenem Bewußtsein die Momente zu eigen macht,
welche sie selhst bei Hegel für die Lösung ihrer eigenen Auf-
gaben finden kann: und an solchen fehlt es wahrlich nicht.
Wenn die Philosophie nach Kant sich mit ihrer hegriff-
lichen Arbeit auf die Entwicklung des Systems der Yernunft
richten mußte, so ist es in der Tat ein notwendiger Fortschritt
gewesen, der von Kant über Fichte und Schelling zu Hegel
führte, und die Wiederholung dieses Prozesses in dem Fort-
scbritt der neuesten Philosophie vom Neukantianismus zum
Neuhegelianismus ist nicht zufällig, sondern hesitzt in sich eine.
sachlicbe Notwendigkeit.
Es gilt jenes Apriori zu erforschen, clas sachliche An-sich
der Vernunft, das unabhängig von aller empirischen Erfassung
für die Welt der Erfahrung und damit über diese hinaus gilt.
Diese Erforschung aber können wir nur mit der menschlichen
Vernunft und von ihr aus anstellen. In ihr wird clas Apriori,
eingebettet in ihren empirischen Tätigkeiten, von uns vorge-
funden, um durch die philosophische Ivritik hera.usgearbeitet
und in ihrem Geltungsrechte begriffen zu werden. Das meinte
Kant mit seiner Frage nach cleni Rechtsgrunde cler synthe-
tischen Urteile a priori. Unser Bewußtsein tindet. in sich, zwar
nicht auf den ersten und oberflächlichen Anblick, aber bei ernster
Selbstdurchforschung eine Anzahl von Voraussetzungen, ohne
die das gemeinsame Geistesleben, welches das Wesen aller
Kultur ausmacht, unmöglich sein würde. Diese Voraussetzungen
lassen sich als Sätze formulieren, clie wir mit dem Anspruch auf
unhedingte Notwendigkeit uncl Allgemeingültigkeit behaupten,
deren Geltung wir aus clen Daten unserer Erfahrung niemals
vollständig begründen können uncl die wir doch als für ciiese
Erfahrung allgemein und notwendig geltend anerkennen. Solche
Voraussetzungen liegen allem wissenschaftlichen Denken, aller
sittlichen Lebensgemeinschaft, aller künstlerischen Betätigung im
Schaffen und Genießen, afler religiösen Üherzeugung und Übung
zugrunde. Sie sollen von der Philosophie in ihrer sachljchen
Geltung zur Evidenz gehracht werden, aber sie müssen eben
cleshalb zunächst mit systematischer Vollständigkeit festgestellt.
werden.
Wie soll nun diese Erforschung uncl tatsächliche Konsta-