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Windelband, Wilhelm; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1910, 10. Abhandlung): Die Erneuerung des Hegelianismus: Festrede in der Sitzung der Gesamtakademie am 25. April 1910 — Heidelberg, 1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.32156#0012
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12

W. Wmdelband:

forschung, auf clie sie Kant im Sinne seiner Zeit eingeschränkt
hatte, auf clie Kritik der Kulturforschung erweiterte, die sich in-
zwischen in den historischen Wissensc.haften so mächtig he-
tätigt hat, schon damit wurden in den Umkreis des t.heoretischen
Denkens die Prinzipien der Wertung hineinbezogen, und seitdem
Lotze die Rücksicht auf das Reich der Werte als entscheidendes
Moment bereits für die logische Theorie eingeführt hatte, wurde
dem philosophischen Denken die ganze Fülle der historischen
Entwicklung der Vernunftwerte von neuem als das f'ruchtbare
Feld für seine begriffliche Durcharbeitung eröffnet.

Das ist der Sieg, den PIegel von neuem über Fries zu
erringen im Eegriffe ist. Aber dieser Sieg darf nicht erkauft
werden durch den Verfall in den Historismus, welcher eine
mindestens ebenso bedenkliche Art des Relativismus ausmacht,
wie der Psychologismus. Die Redeutung der Geschichte als des
Organon der Philosophie darf nicht besagen, daß nun alles
bistorisch Geltende als Vernunftwert einfach hingenommen werden
soll. Auch diese Empirie gibt eben nur das Material für die
philosophische Kritik, deren Prinzip man am hesten als das
der Evidenz der immanenten Sachlichkeit bezeichnen kann.
Gerade in dieser Hinsicht aber hietet die Hegelsche Philosophie
zur Überwindung jener Gefahr des Plistorismus selber die beste
Waffe. Damit berühren wir tiefgreifende Prohleme, mit denen
die neueste Philosophie beschäftigt ist und für die deshalb die
prinzipielle Grundlage des Hegelianismus eine besondere Bedeut-
samkeit hesitzt.

Wir erleben die Vernunftwerte freilich ,als denkende Menschen
in unserer Erfahrung immer so, daß sie sich uns als Inhalte und
Gegenstände unserer Funktionen, psychologischer oder histo-
riscber Tätigkeiten darbieten. Aber — und das hat Hegel init
aller Energie hervorgehoben ihre Vernünftigkeit oder ihr Ver-
nunftwert ist offenbar von diesen unsern Tätigkeiten selhst völlig
unabhängig. PTmgekehrt erhalten unsere Tätigkeiten ihren Ver-
nunftwert erst dadurch, daß sie diese Inhalte zu ihren Gegen-
ständen machen. Ein Satz wird nicht. dadurch wahr, daß wir
ilnr bejahen: sondern wir sollen ihn hejahen, weil er wahr ist.
Eine Gesinnung wird nicht dadurch gut, daß wir ,sie hilligen:
soudern wir sollen sie billigen, weil sie gut ist. Das sind elemen-
tare und unangreifbare Erlehnisse des logischen und des ethischen
Gewissens. Für diese Unabhängigkeit der Vernunftwerte von
 
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