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Rudolf Pagenstecher :
kommen auf jede Schönheit der Anordnung verzichtet. Einfach
hingestreckt liegt der Körper da: die Beine sind nebeneinander-
gelegt. und ganz gerade ausgestreckt. Diese horizontale Linie
begleitet der linke Arm, und auch der Ivörper ist nur in der
Breite, kaum in der Länge gehogen, und doch wie schön ist
die einfache Linie, die von den Füßen aufsteigend über Knie
und Brust wellenförmig hinwegfließend im Kopf langsam und
leise verklingt! An Einfachheit und innerer Wahrheit kann
sich keine der erhaltenen Figuren mit ihr messen — aus-
nehmen dürfen wir nur die lang dahingestreckte Tochter auf
dem Schild des British Museunp welche durch die ganz
törichterweise darübergelegte, aus dem Relief Campana ent-
nommene Schwester in ihrer Wirkung leider sehr geschädigt
wird. 36) Furtwängler liat hei seiner Besprechung ctes Mün-
chener Niobesohnes 37) die Forderung aufgestellt, daß zu dieser
Gestalt noch eine sich über ihn beugende zu ergänzen sei -
ohne eine solche wäre; wie wir schon oben sahen, auch clie
Aufstellung in den Arkaden eines Mausoleums nicht denkbar —;
sei es eine Schwester ocler ein Bruder. Unter den uns erhaltenen
Terrakotten würcle sich hierfür höchstens die Schwester Abb. 9
eignen, doch bezeichnet ihre Gehärde nur clas ängstliche Sich-
zusammenclucken; nicht die liebevolle Besorgnis für den Bruder;
außerdem möchte ich lieber eine getrennte Verwendung der
Söhne und cler Töchter annehmen, worüber unten zu handeln
sein wird.
Es fehlt. nun noch die scheinbar jeder Analogie entbehrende
Gruppe des „Sklaven“ mit dem sterbenden Ivnaben, und diese ist
von solcher Größe der Erfmclung, andrerseits von solcher Zartheit
des Empfindens, daß man sich fragen muß, warum, wenn
unsere Tonstatuetten auf ein herühmtes Original zurückgehen,
sie sicdi nicht mindestens ebenso häufig findet, wie die des
Pädagogen. Wir dürfen auch fragen, was hier der Sklave soll,
cler doch nur eine Wiederholung des Pädagogen wäre, denn wir
sincl noch nicht in der Zeit der Sarkophagreliefs, wo zeitliches
Nacheinander clurch räumliclies Nebeneinancler wiedergegeben
werclen kann. 38) Eine ähnliche Gruppe, clie den Pädagogen mit
36) Am ähnlichsten ist die Stellung des liegenden Jiinglings aus dem
Giehel des Asklepiostentempels zu Epidauros : Furtwängler, Münch. S.-B.,
4. Juli 1903.
37) Beschrbg. d. Glyptothek, 269, 100 Tafeln, 59.
38) E. Strong, Roman Sculpture, S. 259.
Rudolf Pagenstecher :
kommen auf jede Schönheit der Anordnung verzichtet. Einfach
hingestreckt liegt der Körper da: die Beine sind nebeneinander-
gelegt. und ganz gerade ausgestreckt. Diese horizontale Linie
begleitet der linke Arm, und auch der Ivörper ist nur in der
Breite, kaum in der Länge gehogen, und doch wie schön ist
die einfache Linie, die von den Füßen aufsteigend über Knie
und Brust wellenförmig hinwegfließend im Kopf langsam und
leise verklingt! An Einfachheit und innerer Wahrheit kann
sich keine der erhaltenen Figuren mit ihr messen — aus-
nehmen dürfen wir nur die lang dahingestreckte Tochter auf
dem Schild des British Museunp welche durch die ganz
törichterweise darübergelegte, aus dem Relief Campana ent-
nommene Schwester in ihrer Wirkung leider sehr geschädigt
wird. 36) Furtwängler liat hei seiner Besprechung ctes Mün-
chener Niobesohnes 37) die Forderung aufgestellt, daß zu dieser
Gestalt noch eine sich über ihn beugende zu ergänzen sei -
ohne eine solche wäre; wie wir schon oben sahen, auch clie
Aufstellung in den Arkaden eines Mausoleums nicht denkbar —;
sei es eine Schwester ocler ein Bruder. Unter den uns erhaltenen
Terrakotten würcle sich hierfür höchstens die Schwester Abb. 9
eignen, doch bezeichnet ihre Gehärde nur clas ängstliche Sich-
zusammenclucken; nicht die liebevolle Besorgnis für den Bruder;
außerdem möchte ich lieber eine getrennte Verwendung der
Söhne und cler Töchter annehmen, worüber unten zu handeln
sein wird.
Es fehlt. nun noch die scheinbar jeder Analogie entbehrende
Gruppe des „Sklaven“ mit dem sterbenden Ivnaben, und diese ist
von solcher Größe der Erfmclung, andrerseits von solcher Zartheit
des Empfindens, daß man sich fragen muß, warum, wenn
unsere Tonstatuetten auf ein herühmtes Original zurückgehen,
sie sicdi nicht mindestens ebenso häufig findet, wie die des
Pädagogen. Wir dürfen auch fragen, was hier der Sklave soll,
cler doch nur eine Wiederholung des Pädagogen wäre, denn wir
sincl noch nicht in der Zeit der Sarkophagreliefs, wo zeitliches
Nacheinander clurch räumliclies Nebeneinancler wiedergegeben
werclen kann. 38) Eine ähnliche Gruppe, clie den Pädagogen mit
36) Am ähnlichsten ist die Stellung des liegenden Jiinglings aus dem
Giehel des Asklepiostentempels zu Epidauros : Furtwängler, Münch. S.-B.,
4. Juli 1903.
37) Beschrbg. d. Glyptothek, 269, 100 Tafeln, 59.
38) E. Strong, Roman Sculpture, S. 259.