Babylonisclie Astronomie, Himmelsscliau und Astrallehre.
25
»Präcession« gekannt haben, gibt es —- keinen inschriftlichen
Beweis. Aber —- so raisonnieren die Verkünder der panbaby-
lonistischen Lehre —: »es ist von vornherein unglaublich, dass
der in Himmelsbeobachtungen geübte Babylonier aus der Dis-
krepanz zwischen einst und jetzt nicht auf eine Bewegung der
Aequinoktialpunkte geschlossen haben sollte« 95), und die Regu-
lierung des Kalenders nach der Tatsache, dass in den andert-
halb Jahrtausenden der Blüte Babylons der Friihlingspunkt im
Stier stand, »geschah vermutlich unter dem mächtigen König
Sargon, der Babylon erneuerte« (das wäre ca. 2800 v. Chr.).
»Jedenfalls aber hat Hammurabi« (um 2000), »dem die »Glorifi-
zierung des Marduk«, der nach dem Jupiter GUD.UD d. h.
»Sonnenstier« genannt wird und durch den Stier symbolisiert
wird, gelang, die Vorgänge des astralen Weltlaufs zur Begrün-
dung der Prärogative Babylons benutzt« 96). Und für das noch
früher, im 4. und 5. Jahrtausend vorhandene Bewusstsein von
den »Zwillingen« als Frühlingspunkt sprächen bestimmte »Mo-
tive der Dynastiengründer-Mythen«; ja, aus gewissen Zahlen
neugefundener Multiplikationstafeln »scheint sich zu unserem
Staunen indirekt zu ergeben, dass die Babylonier die Präcessions-
zahl in einer älteren Zeit genauer berechnen konnten, als spä-
tere Zeiten« 97).
Endlich, endlich: auch die Phasen der Venus werden in
keiner Keilinschrift genannt, aber — so hören wir vom Pan-
babylonismus —: »bei der tiefgehenden astralen Kenntnis der
Babylonier und bei der Klarheit des orientalischen Sternhimmels
ist es sehr wahrscheinlich, dass man die Phasen der Venus ge-
kannt hat«; ja sogar: »dass diese Tatsache den Babyloniern
bekannt gewesen sein muss, ist nach der ganzen Art, wie die
Venus in der Mythologie behandelt wird, zweifellos« 98), u. s. w.
Summa: die Vertreter der neuen Lehre behaupten, die Theorie
der gradlinigen Entwicklung, die ich Ihnen heute darzulegen
versuchte und mit deren Annahme ich mich im Einklang mit
den historischen Forschungen Franz Boll’s und Eduard Meyer’s
befinde, sei »zu Schanden gemacht«; und ferner: die Bibliothek
Assurbanipal’s sei »keinesfalls ein Zeugnis hohen assyrischen Kul-
turaufstiegs«, sondern bedeute »vielmehr eine Selbstbesinnung
der Kultur auf alte vergangene Zeiten« 99).
Nicht ohne Absicht habe ich Ihnen alle hier mitgeteilten
Aeusserungen der panbabylonistischen Auffassung vom hohen
25
»Präcession« gekannt haben, gibt es —- keinen inschriftlichen
Beweis. Aber —- so raisonnieren die Verkünder der panbaby-
lonistischen Lehre —: »es ist von vornherein unglaublich, dass
der in Himmelsbeobachtungen geübte Babylonier aus der Dis-
krepanz zwischen einst und jetzt nicht auf eine Bewegung der
Aequinoktialpunkte geschlossen haben sollte« 95), und die Regu-
lierung des Kalenders nach der Tatsache, dass in den andert-
halb Jahrtausenden der Blüte Babylons der Friihlingspunkt im
Stier stand, »geschah vermutlich unter dem mächtigen König
Sargon, der Babylon erneuerte« (das wäre ca. 2800 v. Chr.).
»Jedenfalls aber hat Hammurabi« (um 2000), »dem die »Glorifi-
zierung des Marduk«, der nach dem Jupiter GUD.UD d. h.
»Sonnenstier« genannt wird und durch den Stier symbolisiert
wird, gelang, die Vorgänge des astralen Weltlaufs zur Begrün-
dung der Prärogative Babylons benutzt« 96). Und für das noch
früher, im 4. und 5. Jahrtausend vorhandene Bewusstsein von
den »Zwillingen« als Frühlingspunkt sprächen bestimmte »Mo-
tive der Dynastiengründer-Mythen«; ja, aus gewissen Zahlen
neugefundener Multiplikationstafeln »scheint sich zu unserem
Staunen indirekt zu ergeben, dass die Babylonier die Präcessions-
zahl in einer älteren Zeit genauer berechnen konnten, als spä-
tere Zeiten« 97).
Endlich, endlich: auch die Phasen der Venus werden in
keiner Keilinschrift genannt, aber — so hören wir vom Pan-
babylonismus —: »bei der tiefgehenden astralen Kenntnis der
Babylonier und bei der Klarheit des orientalischen Sternhimmels
ist es sehr wahrscheinlich, dass man die Phasen der Venus ge-
kannt hat«; ja sogar: »dass diese Tatsache den Babyloniern
bekannt gewesen sein muss, ist nach der ganzen Art, wie die
Venus in der Mythologie behandelt wird, zweifellos« 98), u. s. w.
Summa: die Vertreter der neuen Lehre behaupten, die Theorie
der gradlinigen Entwicklung, die ich Ihnen heute darzulegen
versuchte und mit deren Annahme ich mich im Einklang mit
den historischen Forschungen Franz Boll’s und Eduard Meyer’s
befinde, sei »zu Schanden gemacht«; und ferner: die Bibliothek
Assurbanipal’s sei »keinesfalls ein Zeugnis hohen assyrischen Kul-
turaufstiegs«, sondern bedeute »vielmehr eine Selbstbesinnung
der Kultur auf alte vergangene Zeiten« 99).
Nicht ohne Absicht habe ich Ihnen alle hier mitgeteilten
Aeusserungen der panbabylonistischen Auffassung vom hohen