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F. von Duhn:
städten Ioniens und der Inseln des Ägäischen Meeres nach
Ägypten fahrenden Griechen das dort typisierte Bild des ruhig
vorschreitenden, nur mit dem Lendenschurz bekleideten Mannes
gesehen, so regte sich in ihnen der Trieb, gleiches zu schaffen.
Sie nahmen mit dem Auge die Anregung auf, den Mut, ähnliches
zu wagen. Aber frei von den Fesseln einer lähmenden Tradition
übersetzten sie das starre Bild in Leben von ihrem Leben. Das
Mechaniscbe, die Behandlung des harten Steins, die Proportions-
lehre eigneten sie sich an in geduldiger Arbeit. Hinzu taten
sie ihr Bestes: das offne, der lebendigen Natur zugewandte Auge,
die Freude am Vorwärtsst.reben, am wirklichen Erfassen des
gesehenen Lebens. Manches war zuerst noch falsch gesehen,
unrichtig wiedergegeben; aber auch das noch mangelhafte Werk
zeigt Individualität, Persönlichkeit. Lange schafft die griechische
Bildnerei an diesem einfac.hen Problem geduldig weiter, Schritt
für Schritt, nicht vorschnell vorstür'mend, bis hinein in das goldene
fünfte Jahrhundert. Sowohl der iugendliche Gott wie der heroi-
sierte Tote, der olympische Sieger wie die argivischen Muster-
söhne Ivleobis und Biton in Delphi (Österr. Jahresh. XIII, 1910,
41—49; Arch. Anz. 1911, 46—50) werden in der gleiehen Weise
dargestellt. Auch wo Stand, nicht Schritt beabsichtigt wird, ist
das linke Bein ein wenig vorgesetzt, die Sohle platt auf dem
Boden, die geschlossenen Hände am Oberschenkel fest angelegt.
Der Zwang des harten widerstrebenden Materials, sei es nun
des Holzstaiüms, sei es des rechteckig zugehauenen Steinblocks,
aus dem naturgemäß eine in festen Umriß zusammengeschnürte
Gestalt durch Entfernen des eben gerade überschüssigen Stoffes
mit den noch in Ausbildung begriffenen Eisenwerkzeugen heraus-
geholt wurde, wirkte eine.m Streben nach freierer Bewegung
hindernd entgegen. Erst als im sechsten Jahrhundert nach Über-
windung einiger Vorstadien der Guß von Großbronzen im grie-
chischen Mutterlande so weit gediehen war, daß er den Wett-
bewerb mit Iiolz und Stein aufnehmen konnte, fmgen auch’ jene
ruhigen geschlossenen Gestalt.en an, die Glieder wirklich zu
rühren, siclr zu lösen, da nunmehr kein Materialzwang räumlicher
Ausdehnung im Wege stand. Die Bewegungsprobleme, fiir die
zeichnenden Künste wie Malerei, Glyptik, Reliefplastik lange ver-
trautes Gebiet, begannen die zurückgehaltene Großplastik lebliaft
zu beschäftigen. Und was nun in Tonmodell und Metallguß ge-
lang, wirkte wieder anregend auf die Bildhauerei in Holz und
F. von Duhn:
städten Ioniens und der Inseln des Ägäischen Meeres nach
Ägypten fahrenden Griechen das dort typisierte Bild des ruhig
vorschreitenden, nur mit dem Lendenschurz bekleideten Mannes
gesehen, so regte sich in ihnen der Trieb, gleiches zu schaffen.
Sie nahmen mit dem Auge die Anregung auf, den Mut, ähnliches
zu wagen. Aber frei von den Fesseln einer lähmenden Tradition
übersetzten sie das starre Bild in Leben von ihrem Leben. Das
Mechaniscbe, die Behandlung des harten Steins, die Proportions-
lehre eigneten sie sich an in geduldiger Arbeit. Hinzu taten
sie ihr Bestes: das offne, der lebendigen Natur zugewandte Auge,
die Freude am Vorwärtsst.reben, am wirklichen Erfassen des
gesehenen Lebens. Manches war zuerst noch falsch gesehen,
unrichtig wiedergegeben; aber auch das noch mangelhafte Werk
zeigt Individualität, Persönlichkeit. Lange schafft die griechische
Bildnerei an diesem einfac.hen Problem geduldig weiter, Schritt
für Schritt, nicht vorschnell vorstür'mend, bis hinein in das goldene
fünfte Jahrhundert. Sowohl der iugendliche Gott wie der heroi-
sierte Tote, der olympische Sieger wie die argivischen Muster-
söhne Ivleobis und Biton in Delphi (Österr. Jahresh. XIII, 1910,
41—49; Arch. Anz. 1911, 46—50) werden in der gleiehen Weise
dargestellt. Auch wo Stand, nicht Schritt beabsichtigt wird, ist
das linke Bein ein wenig vorgesetzt, die Sohle platt auf dem
Boden, die geschlossenen Hände am Oberschenkel fest angelegt.
Der Zwang des harten widerstrebenden Materials, sei es nun
des Holzstaiüms, sei es des rechteckig zugehauenen Steinblocks,
aus dem naturgemäß eine in festen Umriß zusammengeschnürte
Gestalt durch Entfernen des eben gerade überschüssigen Stoffes
mit den noch in Ausbildung begriffenen Eisenwerkzeugen heraus-
geholt wurde, wirkte eine.m Streben nach freierer Bewegung
hindernd entgegen. Erst als im sechsten Jahrhundert nach Über-
windung einiger Vorstadien der Guß von Großbronzen im grie-
chischen Mutterlande so weit gediehen war, daß er den Wett-
bewerb mit Iiolz und Stein aufnehmen konnte, fmgen auch’ jene
ruhigen geschlossenen Gestalt.en an, die Glieder wirklich zu
rühren, siclr zu lösen, da nunmehr kein Materialzwang räumlicher
Ausdehnung im Wege stand. Die Bewegungsprobleme, fiir die
zeichnenden Künste wie Malerei, Glyptik, Reliefplastik lange ver-
trautes Gebiet, begannen die zurückgehaltene Großplastik lebliaft
zu beschäftigen. Und was nun in Tonmodell und Metallguß ge-
lang, wirkte wieder anregend auf die Bildhauerei in Holz und