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Bekker, Ernst Immanuel; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 8. Abhandlung): Das Recht als Menschenwerk und seine Grundlagen — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32883#0007
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Das Recht als Menschenwerk und seine Grundlagen.

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verfallen ist; Ivetzer- und Hexenprozesse, statt der Gottesgerichte
Foltern und Eide. Die Lehre aber beherrscht der naturrechtliche
Gedanke, dessen Begründung ebenso unwissenschaftlich ist, wie
seine Erfolge der lebendigen Rechtsentwicklung zuwiderlaufen.

II.
Wäre man um ein Schlagwort verlegen, so könnten wir die
große, unsere Gegemvart beherrschende und anscheinend dem Ah-
schluß noch so ferne Bewegung Kampf des Wissens wider das
Glauben heißen. Auch wer den Grund des Umschwungs in der
Steigerung menschlicher Herrschaft über die erreichharen Natur-
kräfte, insonderheit in der Erleichterung des Transports von
iMenschen, Sachen, Gedanken, der Ausführung von Hoch- und
Tiefbauten, der Mehrung der Nahrungs- und Genußmittel suchen
wollte, wird zugleich hemerken müssen, daß jede Erweiterung der
Technik auf Erfmdungen beruht, die ohne die Erweiterung des
schon vorhandenen Wissens (Entdeckungen) unmöglich gewesen
wären. Freilich ebenso zweifellos, daß dieselben Entdeckungen,
in der Gelehrtenstube verblieben, für sich allein den Umschwung
nimmer bewirkt hätten, und daß nur da, wo das ganze Volk eine
gewisse Kulturstufe schon erreicht hatte, die Verbreitung der
Gelehrtenarbeit zu bewerkstelligen war.
Betrachten wir das „Wissen“ und das ihm gegenüberstehende
„Glauben“. Beide in ihrer Eigenart. Jedes menschliche Wissen
muß ausgehen von etwas Ungewußtem, Unbeweisbarem, das wir
aber aus guten Gründen als bewiesen gelten lassen. Das erste
Axiom der Art ist wohl die Annahme der eigenen Existenz. Der
Versucli einer Beweisführung durch das „cogito ergo sum“ und
ährdiches ist oft genug bespöttelt, und die Erklärung, daß wir den
bleibenden Zustand unseres Ichgefühls, den wir wahrnehmen,
„Sein“ heißen, fördert uns auch nur wenig und erweckt das
Bewußtsein, an einem Ende unseres Denkens zu stehen. Denn
da wir kein Genus kennen, in welchem das „Sein“ als Spezies
unterzubringen wäre, müssen wir die Beschränktheit unseres
ganzen Denkvermögens schmerzlichst empfmden.
Das zweite Axiom wäre dann, daß auch die Umwelt ebenso
wirklich existiert wie wir selber. Die Unentbehrlichkeit dieses
Satzes wird wohl kaum mehr angezweifelt werden, die Reich-
 
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