Das Recht als Menschenvverk und seine Grundlagen.
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Allgemein aber wäre zu wünschen, daß die „ars credendi“,
als Zweig der „ars nesciendi“, bessere Pflege fände. Wo der
Glauben in seiner wirklichen Beschaffenheit erkannt ist, da mag
auch der eifrigste Glaubensdiener vor allen llngeheuerlich-
keiten zwecks Verbreitung seines „allein selig machenden
Glaubens“ sich wohl zu hüten wissen, und der Gelehrte, der
irgendwelche kleine Entdeckung gemacht hätte, würde nicht ver-
meinen, daß die nächstliegenden daraus abzuleitenden Hvpo-
thesen und sonstigen Mutmaßungen Wahrheiten seien. Zurzeit
aber siud wir noch weitab von dieser Eingrenzung des Glaubens
auf sein eigenes Gebiet, und eben darum müssen alle großen
Erweiterungen des Wissens einstweilen noch zu Kämpfen wider
das Glauben führen.
V.
Große Umgestaltungen im Leben der Völker, die auf
geistiger Grundlage beruhen, können sich nicht glatt und harm-
los vollziehen, Widersprüche und Rückschläge bleiben nicht
aus. Die Verschiedenheit der Individualitäten ist zu groß, um
zu gestatten, daß die Gesamtheit bald ein klares Bild gewönne
von dem, was zu beseitigen, und von dem, was zu erreichen
wäre. Der überlegte erfolgreichste Reformator bleibt stecken mit
einem Fuße im Alten, während wilde Strudelköpfe, von der Er-
fahrung über die Unausführbarkeit ihrer Phantasmen belehrt,
allmählich zu den einst verpönten nüchternen Anschauungen
der Dinge, wie sie sind, zurückkehren. AVir glauben inmitten
eines großen Reformwerks zu stehen, dessen Beginn wir in das
18. Jahrhundert verlegt haben, und dessen Verlauf wohl auch
erst nach Jahrhunderten zu dem führen mag, was man „ruhige
Zeiten“ zu heißen pflegt.
Von den vielen Geistern, die wir in dieser Bewegung be-
griffen sehen, interessiert uns hier nur der eine, der der Juris-
prudenz, und auch von diesem nicht die Entwicklung, die Wand-
lungen, die er in unserer Stromschnelle erfahren, sondern ledig-
lich sein Verhalten im Augenblick, und die Aufgaben, welche
ihm die Gegenwart gestellt hat. In der Medizin sind die wissen-
schaftlichen Elemente vorgedrungen und haben damit auch die
Praxis weit über alles vorher je Geahnte gefördert. Der gleiche
27
Allgemein aber wäre zu wünschen, daß die „ars credendi“,
als Zweig der „ars nesciendi“, bessere Pflege fände. Wo der
Glauben in seiner wirklichen Beschaffenheit erkannt ist, da mag
auch der eifrigste Glaubensdiener vor allen llngeheuerlich-
keiten zwecks Verbreitung seines „allein selig machenden
Glaubens“ sich wohl zu hüten wissen, und der Gelehrte, der
irgendwelche kleine Entdeckung gemacht hätte, würde nicht ver-
meinen, daß die nächstliegenden daraus abzuleitenden Hvpo-
thesen und sonstigen Mutmaßungen Wahrheiten seien. Zurzeit
aber siud wir noch weitab von dieser Eingrenzung des Glaubens
auf sein eigenes Gebiet, und eben darum müssen alle großen
Erweiterungen des Wissens einstweilen noch zu Kämpfen wider
das Glauben führen.
V.
Große Umgestaltungen im Leben der Völker, die auf
geistiger Grundlage beruhen, können sich nicht glatt und harm-
los vollziehen, Widersprüche und Rückschläge bleiben nicht
aus. Die Verschiedenheit der Individualitäten ist zu groß, um
zu gestatten, daß die Gesamtheit bald ein klares Bild gewönne
von dem, was zu beseitigen, und von dem, was zu erreichen
wäre. Der überlegte erfolgreichste Reformator bleibt stecken mit
einem Fuße im Alten, während wilde Strudelköpfe, von der Er-
fahrung über die Unausführbarkeit ihrer Phantasmen belehrt,
allmählich zu den einst verpönten nüchternen Anschauungen
der Dinge, wie sie sind, zurückkehren. AVir glauben inmitten
eines großen Reformwerks zu stehen, dessen Beginn wir in das
18. Jahrhundert verlegt haben, und dessen Verlauf wohl auch
erst nach Jahrhunderten zu dem führen mag, was man „ruhige
Zeiten“ zu heißen pflegt.
Von den vielen Geistern, die wir in dieser Bewegung be-
griffen sehen, interessiert uns hier nur der eine, der der Juris-
prudenz, und auch von diesem nicht die Entwicklung, die Wand-
lungen, die er in unserer Stromschnelle erfahren, sondern ledig-
lich sein Verhalten im Augenblick, und die Aufgaben, welche
ihm die Gegenwart gestellt hat. In der Medizin sind die wissen-
schaftlichen Elemente vorgedrungen und haben damit auch die
Praxis weit über alles vorher je Geahnte gefördert. Der gleiche