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Reitzenstein, Richard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 14. Abhandlung): Die Nachrichten über den Tod Cyprians: ein philologischer Beitrag zur Geschichte der Märtyrerliteratur — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.33057#0034
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34

Richard Reitzenstein:

bestand sie nachweislich nicht 1. Auch eine weitere Folgerung
ergibt sich sofort aus der ursprünglichen Sonderung der beiden
Elemente. So deutlich uns ist, wie in diesem Einzelfalle die Er-
zählung das vorher selbständig bestehende Protokoll aufnehmen
und umrahmen mußte, so wenig dürfen wir a priori schließen,
claß jeder derartigen Erzählung notwendig ein Protokoll zu-
grunde liegen muß. In den älteren ‘Büchern’ fehlt es sogar regel-
mäßig und muß schon aus stilistischem Grunde fehlen; in den
schlichten Berichten finden sich meist entsprechende Angaben;
aber sie können an sich auch auf die Erinnerung von Ohrenzeugen
zurückgehen. Die Besonderheit dieses Einzelfalles gestattet will-
kürliche Verallgemeinerungen jetzt überhaupt nicht mehr.

Der kleine Fund wäre schon dadurch wichtig genug. Allein
er zieht sofort noch eine weitere Folgerung nach sich. Wir be-
sitzen noch eine zweite Fassung der alten (also der unvollständigen)
Volkserzählung, und diese Fassung geht mit der Urkunde, die
ja von Anfang an zugrunde gelegt war, sogar besser zusammen
als die erste Fassung, die ich oben abdruckte. Ich fand sie im
cod. Wirceburg. theol. 33 (fol. 38) =Y, wo sie ein Exzerpt aus

1 Cyprians Briefe während der früheren Verfolgung beweisen das un-
widerleglich. Er könnte von seinen Berichterstattern genaue Angaben über
die Martyrien haben und kennt auch tatsächlich einzelne Worte, die ihm
‘des Geistes voll’ scheinen, aber er fragt nicht weiter danach und für die
Kirche verlangt er nur die genaue Angabe des Todestages, um an ihm das
Abendmahl zu begehen; nichts weiter hat für sie Wichtigkeit. Auch diese
Tatsache genügte schon an sich, Harnacks aprioristische Schlüsse aus der
Auffassung der Märtyrerrede als Rede des Geistes (Sitzungsber. 1910 vgl.
oben S. 9 A. 1) zu widerlegen, und gerade die Entwicklung der Literatur über
Cyprians eigenes Martyrium zeigt ihre Unhaltbarkeit noch deutlicher. In
der historischen wie literarhistorischen Überlieferung sind Schlüsse, wie
‘das ist geschehen; denn die Voraussetzungen dafür waren vorhanden’ zwar
leicht, aber nie beweiskräftig. Gerade in diesem Falle ist klar, daß wichtige
Interessen der Kirche hindern mußten, aus jener Auffassung voll die Kon-
sequenzen zu ziehen. Ich leugne dabei gar nicht, daß die volkstümliche Er-
zählung in der Regel nicht zu lange nach den Ereignissen entstanden sein
wird; ihre Lebensfähigkeit beruht ja auf der Frische der Erinnerung. Bei
dem literarischen Werk im engeren Sinne liegt die Sache anders. Die Bücher
über Montanus und Flavianus einerseits, über Marianus und Jacobus andrer-
seits sind, wie ich vorausnehme, längere Zeit nach den Ereignissen verfaßt.
Bei dem Perpetua-Buch sind wir unsicher; es ist möglich, daß Tertullian
noch nicht das Buch selbst, sondern nur die ihm zugrunde liegenden Visions-
berichte gelesen hat, und die literarische Einleitung (cap. 1 Schluß) klingt
so, als ob das Ereignis schon eine Weile zurücldäge.
 
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