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Reitzenstein, Richard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1913, 14. Abhandlung): Die Nachrichten über den Tod Cyprians: ein philologischer Beitrag zur Geschichte der Märtyrerliteratur — Heidelberg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.33057#0046
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46

Richard Reitzenstein:

Ich selbst wende mich einer anderen Aufgabe zu, nämlich
der Untersuchung der literarischen Tradition im engeren Sinne.

II.

Die angebliche Biographie des Pseudo-Pontius.

Die christliche Märtyrerliteratur beschränkt sich bis zum
Beginn des dritten Jahrhunderts, von den seltenen Fällen abge-
sehen, daß eine Gemeinde einen bestimmten Anlaß liatte, eine
ihr widerfahrene Verfolgung einer anderen brieflich mitzuteilen 1,
auf die im Ideidentum längst ausgebildete Form des kurzen und
schmucklosen Prozeßberichts in der Art des Flugblattes. Diese
Prozeßberichte, die nicht aus den Protokollen stannnten, wohl
aber in der Regel nach heidnischem Vorbild sich an die akten-
mäßige Form anlehnten und meist wohl auf Augenzeugen zurück-
gingen, immer aber auf solche zurückgehen wollten, hatten zu-
nächst kein einheitliches Publikum im Auge, ja man darf annehmen,
daß sie mit einer gewissen Absicht auch für heidnische Leser
berechnet waren. Der furchtbare Rechtsbruch, der, allerdings
in formell gesetzlicher Form, an Unschuldigen vollzogen wird,
soll gerade dem besseren Teil der Heiden bei dieser Lektüre zum
Bewußtsein kommen; die Antworten der Märtyrer, die hervor-
heben, daß es sich nur um die sonst völlig freie Überzeugung in
religiösen Fragen handelt, werden besonders hervorgehoben;
kleine, allmählig auch größere Apologien schieben sicli ein; sie
zeigen in ihrer Wiederkehr, daß die Wirkung nach außen eine
Zeitlang immer stärker in den Vordergrund trat 2. Der Beginn
des dritten Jahrhunderts bringt einen Wechsel der Form und der
Tendenz: das erste Buch erscheint und es wendet sich nurandie
Gemeinde oder vielmehr nur an einen Teil von ihr. Die passio

1 So die Gemeinde von Smyrna und die gallischen Gemeinden. Harnack
hat (Sitzungsber. 1910) dies leider verkannt.

2 Die Kirche erprobte die werbende Kraft der Martyrien im Leben;
es lag nahe, sie durch eine Benutzung der volkstümlichen Prozeßliteratur
zu verstärken. Dies Motiv, das Harnack gar nicht anerkennt, wirkt meines
Erachtens zweifellos mit. Es erklärt zugleich, wie rasch diese Literatur immer
wieder entschwindet. Nur Berichte aus der letzten Vergangenheit werden in
der Regel allgemeineres Interesse finden. Die Geschichte des Polykarp-
Martyriums zeigt das handgreiflich. Hierdurch erklärt sich mir, daß wir
so wenig ‘echte’ Martyrien haben. Die spätere Wundererzählung und das
Buch stehen darin anders.
 
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