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Richard Reitzenstein:
selbst nicht früher von der Vision gesprochen habe oder bei seiner
Bitte an etwas anderes gedacht haben könnte, als er hernach
getan habe, wird abgeschnitten; biblische Beispiele werden an-
geführt. Der ganze Sinn des Schlußteils, ja der ganzen Schrift
wird von hier aus klar. Von hier aus wird auch ihr Verhältnis
zu der passio Perpetuae in seiner inneren Begründung verständ-
lich. Es ist das Buch, welches gerade in dem Kreis jener Rigoristen
besonders geschätzt wird. Notwendig müssen auch die Visionen
der Perpetua, wie etwa ihr Kampf mit clem Ägypter, an Anschau-
lichkeit überboten, die dem Bischof gewährte clignatio eben durch
die Zeit der Vorherverkündigung als noch größer dargestellt
werden 1. Wer eine neue Verkündigung derart erzählen oder eine
frühere umgestalten will, muß sich natürlich als vertrauten Freund
des Märtyrers legitimieren uncl sie von ihm selbst gehört haben;
er muß außerclem angeben, warum er sein Wissen erst jetzt vor-
bringt. Wie ungeschickt das hier geschieht, hat siclr gezeigt.
Ich habe das feste Vertrauen, daß kein Historiker, der zwei profane
Berichte derart miteinander zu vergleichen hätte, sicli eineii Augen-
blick besinnen. würde, welchem er die Priorität zusprechen sollte
und wie er über den zweiten urteilen müßte. Der Literarhistoriker,
der die vier Martyrienbücher nacheinander gelesen liätte, würde
es ebenfalls nicht.
Allein vielleicht haben wir sogar ein äußeres Zeugnis. Ich
habe früher bei der Besprechung der Andeutungen, welche der
Verfasser der vita et passio in cap. 17 über den Wortlaut des von
Gott inspirierten Urteils macht, eine nocli ausgelassen: et qui
suis futurus esset ipse documento — documento autem suis fuit.
Diese Worte entsprechen in keiner Weise cler Fassung Y, die cloch,
wie ich nachwies, aus der urkundlichen Fassung des Urteils, deren
Anfang in WX erhalten ist, stammen: quia.. desciveris cum his etiam,
cquos tui similis scelere docuisti, ipso clocumento poenae perfruere.
Auch in EMT weichen clie entsprechenclen Worte eos, quos tuo scelere
1 Über dies Vorherwissen des Todes als Zeichen der höchsten Begnadung
und des Besitzes des Geistes vgl. Holl Neüe Jahrbücher f. d. klass. Altertum
1912, S. 410 (Harnacks Andeutungen genügen nicht). Wunderlich schätzt
diese Zeit dabei die Größe der Begnadung' (dignatio) ab, nach der Länge der
Zeit oder der ungewöhnlichen Stunde und Art der Vision. Der Verfasser
der passio Mariani et Jacoürechnet es seinem ITelden zum Ruhrn, daß Christus
selbst sich der Ankündigung unterzieht (nicht ein nuntius dei) und daß der
Visionsschlaf am Mittag, nicht etwa in der Nacht eintritt, und noch dazu
in einem arg stoßenden Reisewagen!
Richard Reitzenstein:
selbst nicht früher von der Vision gesprochen habe oder bei seiner
Bitte an etwas anderes gedacht haben könnte, als er hernach
getan habe, wird abgeschnitten; biblische Beispiele werden an-
geführt. Der ganze Sinn des Schlußteils, ja der ganzen Schrift
wird von hier aus klar. Von hier aus wird auch ihr Verhältnis
zu der passio Perpetuae in seiner inneren Begründung verständ-
lich. Es ist das Buch, welches gerade in dem Kreis jener Rigoristen
besonders geschätzt wird. Notwendig müssen auch die Visionen
der Perpetua, wie etwa ihr Kampf mit clem Ägypter, an Anschau-
lichkeit überboten, die dem Bischof gewährte clignatio eben durch
die Zeit der Vorherverkündigung als noch größer dargestellt
werden 1. Wer eine neue Verkündigung derart erzählen oder eine
frühere umgestalten will, muß sich natürlich als vertrauten Freund
des Märtyrers legitimieren uncl sie von ihm selbst gehört haben;
er muß außerclem angeben, warum er sein Wissen erst jetzt vor-
bringt. Wie ungeschickt das hier geschieht, hat siclr gezeigt.
Ich habe das feste Vertrauen, daß kein Historiker, der zwei profane
Berichte derart miteinander zu vergleichen hätte, sicli eineii Augen-
blick besinnen. würde, welchem er die Priorität zusprechen sollte
und wie er über den zweiten urteilen müßte. Der Literarhistoriker,
der die vier Martyrienbücher nacheinander gelesen liätte, würde
es ebenfalls nicht.
Allein vielleicht haben wir sogar ein äußeres Zeugnis. Ich
habe früher bei der Besprechung der Andeutungen, welche der
Verfasser der vita et passio in cap. 17 über den Wortlaut des von
Gott inspirierten Urteils macht, eine nocli ausgelassen: et qui
suis futurus esset ipse documento — documento autem suis fuit.
Diese Worte entsprechen in keiner Weise cler Fassung Y, die cloch,
wie ich nachwies, aus der urkundlichen Fassung des Urteils, deren
Anfang in WX erhalten ist, stammen: quia.. desciveris cum his etiam,
cquos tui similis scelere docuisti, ipso clocumento poenae perfruere.
Auch in EMT weichen clie entsprechenclen Worte eos, quos tuo scelere
1 Über dies Vorherwissen des Todes als Zeichen der höchsten Begnadung
und des Besitzes des Geistes vgl. Holl Neüe Jahrbücher f. d. klass. Altertum
1912, S. 410 (Harnacks Andeutungen genügen nicht). Wunderlich schätzt
diese Zeit dabei die Größe der Begnadung' (dignatio) ab, nach der Länge der
Zeit oder der ungewöhnlichen Stunde und Art der Vision. Der Verfasser
der passio Mariani et Jacoürechnet es seinem ITelden zum Ruhrn, daß Christus
selbst sich der Ankündigung unterzieht (nicht ein nuntius dei) und daß der
Visionsschlaf am Mittag, nicht etwa in der Nacht eintritt, und noch dazu
in einem arg stoßenden Reisewagen!