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Richard Reitzenstein:
er sieht in der literarhistorischen Würcligung seine Hauptauf-
gabe (S. 32, vgh oben). Ich gehe auf sie und ihre Durchführung
nicht ein. Der Philologe setzt sich dabei stets dem bekannten
Vorwurf aus, über die Literatur zu reden wie der Kardinal Boc-
canera in Zolas Rom — vielleicht gerade, wenn er die Literatur
kennt. Nur wenn Harnacic, um seinen Helden noch besser zu
preisen, die Biographie des Antonius von Athanasius, welche bisher
als die älteste erhaltene christliche Biographie galt, nach Möglichkeit
herabzusetzen versucht, möchte ich in aller Bescheidenheit ein
Bedenken äußern. In einem geclankenreichen Aufsatz, von dem
wir Philologen viel lernen können, hat unlängst K. Holl * 1 dies
Werk gepriesen, vielleicht ein wenig einseitig, ohne die Quellen
ganz genügend zu berücksichtigen. Auch Athanasius ist für mein
Empfinden weder als Schriftsteller schöpferisch noch originell
in dem gewaltigen Bilde der christlich-asketischen Vollkommen-
heit, das er zeichnet, und wie ich über die spezifisch ägyptischen
Zusätze seines Werkes denke, habe ich früher genugsam kundgetan.
Aber wenn auch gerade das Tiefste in ihm nur nachempfunden
und umgebildet ist — schon hierin liegt doch eine großartige
Leistung, die ich aufrichtig bewundere. Das Urteil ‘obschon man
es (das Werk des Athanasius) nicht ohne Anteil liest, darf man
unbedenklich sagen: kein Schriftwerk hat je verdummender auf
Ägypten, Westäsien und Europa gewirkt’ wird ihr in keiner Weise
gerecht. Dauernde Wirkung gibt auch im religiösen Leben nur
die innere Kraft. Sie hat Athanasius besessen. Und der ärmliche
Rhetor, der in der vita et passio Cypriani zu uns spricht ? Nach
Härnack (S.42) freilich hat er einen Erfolg erzielt, den er selbst
schwerlich zu hoffen gewagt hat. ‘Seine Schrift wurde einfach den
Werken Cyprians beigefügt und mit ihnen verbreitet und ver-
kauft. In die Hinterlassenschaft Cyprians, die sein Andenken ge-
währleistete, wurde sie eingerechnet; selbst der Name ihres Ver-
fassers ging in dem Namen des Helden unter! Die Sclirift hat
also ihren Zweck erfüllt, wie es wenigen ähnlichen Werken heschieden
worclen ist’. Aber auf diesen Erfolg kann schließlich auch der
Verfasser der Vita Lukans und mancher seiner Handwerksgenossen
in alter und neuer Zeit stolz sein. Wie die völlige Ignorierung
der antiken Editionstechnik verbunden mit moderner Rhetorik
kennt, vollkommen genügt, den Verfasser zu charakterisieren. Ihr entspricht
der Schluß.
1 Neue Jahrbücher f. d. klassische Altertum 1912 S. 407 ff.
Richard Reitzenstein:
er sieht in der literarhistorischen Würcligung seine Hauptauf-
gabe (S. 32, vgh oben). Ich gehe auf sie und ihre Durchführung
nicht ein. Der Philologe setzt sich dabei stets dem bekannten
Vorwurf aus, über die Literatur zu reden wie der Kardinal Boc-
canera in Zolas Rom — vielleicht gerade, wenn er die Literatur
kennt. Nur wenn Harnacic, um seinen Helden noch besser zu
preisen, die Biographie des Antonius von Athanasius, welche bisher
als die älteste erhaltene christliche Biographie galt, nach Möglichkeit
herabzusetzen versucht, möchte ich in aller Bescheidenheit ein
Bedenken äußern. In einem geclankenreichen Aufsatz, von dem
wir Philologen viel lernen können, hat unlängst K. Holl * 1 dies
Werk gepriesen, vielleicht ein wenig einseitig, ohne die Quellen
ganz genügend zu berücksichtigen. Auch Athanasius ist für mein
Empfinden weder als Schriftsteller schöpferisch noch originell
in dem gewaltigen Bilde der christlich-asketischen Vollkommen-
heit, das er zeichnet, und wie ich über die spezifisch ägyptischen
Zusätze seines Werkes denke, habe ich früher genugsam kundgetan.
Aber wenn auch gerade das Tiefste in ihm nur nachempfunden
und umgebildet ist — schon hierin liegt doch eine großartige
Leistung, die ich aufrichtig bewundere. Das Urteil ‘obschon man
es (das Werk des Athanasius) nicht ohne Anteil liest, darf man
unbedenklich sagen: kein Schriftwerk hat je verdummender auf
Ägypten, Westäsien und Europa gewirkt’ wird ihr in keiner Weise
gerecht. Dauernde Wirkung gibt auch im religiösen Leben nur
die innere Kraft. Sie hat Athanasius besessen. Und der ärmliche
Rhetor, der in der vita et passio Cypriani zu uns spricht ? Nach
Härnack (S.42) freilich hat er einen Erfolg erzielt, den er selbst
schwerlich zu hoffen gewagt hat. ‘Seine Schrift wurde einfach den
Werken Cyprians beigefügt und mit ihnen verbreitet und ver-
kauft. In die Hinterlassenschaft Cyprians, die sein Andenken ge-
währleistete, wurde sie eingerechnet; selbst der Name ihres Ver-
fassers ging in dem Namen des Helden unter! Die Sclirift hat
also ihren Zweck erfüllt, wie es wenigen ähnlichen Werken heschieden
worclen ist’. Aber auf diesen Erfolg kann schließlich auch der
Verfasser der Vita Lukans und mancher seiner Handwerksgenossen
in alter und neuer Zeit stolz sein. Wie die völlige Ignorierung
der antiken Editionstechnik verbunden mit moderner Rhetorik
kennt, vollkommen genügt, den Verfasser zu charakterisieren. Ihr entspricht
der Schluß.
1 Neue Jahrbücher f. d. klassische Altertum 1912 S. 407 ff.